Sturms Flug
Ergebnis, Ehrlichkeit währte bekanntlich am längsten, also war es wohl am besten, seinen bisherigen Misserfolg offen einzugestehen. Kunze würde ihm schon nicht den Kopf abreißen, sondern ihm stattdessen helfend unter die Arme greifen.
»Wissen Sie«, begann er vorsichtig, »das Ganze gestaltet sich schwieriger, als ich erwartet hatte. Wesentlich schwieriger. Deshalb …«
»Ob schwierig oder nicht, interessiert niemanden!«, fiel ihm der Oberstaatsanwalt voller Ungeduld ins Wort. »Das Einzige, worauf es ankommt, ist das Ergebnis. Also, wie ist der Stand der Dinge?«
Lohmann leckte sich über die Lippen. »Omar ist … nun ja, eine harte Nuss. Härter, als erwartet. Es ist nicht einfach, an ihn heranzukommen …«
Die eisgrauen Augen des Eisenschädels weiteten sich.
Hastig fuhr der Jungstaatsanwalt fort. »Dennoch habe ich den Kerl fest im Griff, das kann ich Ihnen versichern. Meine Strategie ist es, ihn einerseits zu zermürben und ihn andererseits davon zu überzeugen, dass er nur davon profitieren kann, wenn er mit uns zusammenarbeitet.«
Das Starren in Eisgrau ging weiter. »Und?«
»Äh … Offenbar trägt diese Taktik allmählich Früchte, möchte ich meinen. In spätestens einer Woche ist er so weit. Dann unterschreibt er uns alles, was wir wollen.«
»Eine Woche, wie? Also schön, damit bewegen wir uns im Zeitrahmen. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Gut gemacht.« Kunze schaffte es, selbst ein Lob wie eine Rüge klingen zu lassen. »In der Zwischenzeit können Sie Ihr Verhandlungsgeschick erneut unter Beweis stellen. Vor nicht einmal einer Stunde ist nämlich ein Flugzeug entführt worden, eine bereits gelandete Passagiermaschine, hier bei uns in Köln. Deshalb habe ich Sie herbestellt.«
»Heilige Mutter Gottes!«, entfuhr es Lohmann, während ihm sofort tausend Dinge in den Sinn kamen. »Was ist …«
Der Alte gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. »Der Entführer hat Forderungen gestellt. Oder die Entführer, falls es sich um mehrere Personen handelt, was derzeit völlig unklar ist.«
»Forderungen? Was verlangt man?«
»Zehn Millionen Euro in bar, die Betankung des Flugzeugs, Starterlaubnis, freien Luftraum …« Er zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab.
»Geld?«, staunte Lohmann. »Kein terroristischer Hintergrund? Nichts Politisches oder Religiöses? Seit wann werden Flugzeuge entführt, um Geld zu erpressen?«
»Lassen Sie mich ausreden! Das ist noch nicht alles, sondern im Prinzip nur Beiwerk. Es gibt eine weitere Forderung, und die ist offenbar die wichtigste von allen, um die sich alles dreht. Und genau an dieser Stelle kommen Sie ins Spiel.«
Lohmann sah den oberstaatsanwaltlichen Zeigefinger auf sich gerichtet. Unwillkürlich hielt er den Atem an. »Ich?«
Kunze nickte. »Der Entführer verlangt, dass Omar Aidid freigelassen und zum Flughafen gebracht wird. Er hat mit der Erschießung der Passagiere gedroht, falls wir nicht darauf eingehen.«
»Omar Aidid?«, rief Lohmann aufgeregt. » Unser Omar Aidid?«
»Natürlich unser Omar Aidid! Oder kennen Sie noch mehr Leute, die so heißen und in dieser Anstalt einsitzen?«
»Äh … nein … Ich bin sprachlos.«
»Heben Sie sich das für später auf. Jetzt ist Ihr voller Einsatz gefordert. Sie müssen Omar erneut befragen, und zwar sofort, deshalb habe ich Sie herbestellt. Finden Sie heraus, wer ihn befreien will.«
»Ich … Wie soll ich das anstellen?«
»Herrgott, Bodo, indem Sie ihn über sein Umfeld befragen, seine Freunde, seine Kontakte. Je mehr Sie darüber in Erfahrung bringen, desto besser. Die Polizei ist nämlich auf diese Informationen angewiesen, um eine Krisenstrategie zu entwickeln. Bisher liegen keinerlei Erkenntnisse über den Geiselnehmer vor, außer dass er sich selbst Löwe von Puntland nennt.«
»Wie war das? Puntland?«
»Ja, Löwe von Puntland. Vorausgesetzt, es liegt kein Übermittlungsfehler vor.«
»Kein Fehler«, sagte Lohmann bestimmt. »Puntland ist richtig.«
Der Oberstaatsanwalt hob die ergrauten Brauen. »Sie wissen, was das bedeutet?«
Lohmann zuckte mit den Schultern. »Ich denke schon. Puntland klingt zwar nicht somalisch, ist aber trotzdem der Name einer Region in Somalia, genau am Horn von Afrika. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, als ich Omars Akte studierte, er ist nämlich dort zu Hause. Das Gebiet gilt als die Piratenhochburg. Der Name leitet sich übrigens von einem mythischen Goldland ab, das in der altägyptischen Sage beschrieben wird.
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