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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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Videoaufzeichnungen übersehen, wie Omar gleich beim ersten Verhör auf ihn losgegangen war und ihm einen Kopfstoß verpasst hatte, wie er ihm beim nächsten Mal vor die Füße uriniert hatte, wie er ihm den blanken Hintern entgegengestreckt hatte und schließlich nur noch mit Hand- und Fußfesseln und in einer Zwangsjacke vorgeführt werden konnte. Danach war er zu verbalen Mätzchen übergegangen. Aber konnte man das alles übersehen? Schwer vorstellbar.
    Kunze machte derweil ein zufriedenes Gesicht. »Ich sehe«, konstatierte er, »dass ich hier nicht weiter von Nutzen bin. Also werde ich mich in mein Büro begeben und dort zur Verfügung halten. Sie beide möchte ich bitten, nach dem Verhör zum Flughafen zu fahren, am besten mit einem ganzen Sack voll neuer Erkenntnisse. Im Flughafen wurde eine Krisenzentrale eingerichtet. Man erwartet Sie.«
    Wolf nickte, um sein Einverständnis zu signalisieren.
    »Haben Sie sich die Aufzeichnungen wirklich angesehen?«, fragte Lohmann, nachdem der gestrenge Eisenschädel am Ende des Korridors verschwunden war.
    »Natürlich«, antwortete Wolf knapp.
    »Aber dann wissen Sie doch, wie Omar auf mich reagiert. Ich bin ein rotes Tuch für ihn. Wenn er mit mir spricht, dann nur, um mich zu beleidigen.«
    »Stimmt. Und genau dort liegt der Vorteil. Er hält Sie für eine Witzfigur, das ist offensichtlich. Folglich behandelt er Sie überheblich, und das macht ihn unvorsichtig, achtlos, fahrlässig. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Jedenfalls brauchen Sie ihm nur mit der richtigen Masche zu kommen, dann wird er Ihnen eine Menge verraten, ohne es zu merken. Ganz einfach.«
    Lohmann staunte. »Aber … aber was ist die richtige Masche?«
    »Das ist schnell erklärt. Spielen Sie nach seinen Regeln, begeben Sie sich auf sein Niveau. Mit Sachlichkeit und Korrektheit, so wie Sie es bisher versucht haben, kann man bei einem Menschen vom Schlage Omar Aidids nicht punkten. Sehen Sie, er stammt aus einem Land, in dem seit über zwanzig Jahren Krieg herrscht, das ist ein Großteil seines Lebens. Folglich kennt er nur ein Recht, nämlich das des Stärkeren.«
    »Und was heißt das konkret?« Er begriff nicht, worauf Wolf hinauswollte.
    »Benehmen Sie sich wie ein Holzhacker. Beschimpfen Sie ihn, brüllen Sie ihn an, provozieren Sie ihn. Sprechen Sie seine Sprache.«
    »Sie meinen, ich soll ihn wirklich beleidigen?« Lohmann erschrak regelrecht, dann schüttelte er vehement den Kopf. »So etwas liegt mir nicht, ich kann das nicht. Außerdem ist es unkorrekt.«
    Wolf stieß einen Laut der Verachtung aus. »Korrektheit ist etwas für Bürokraten. Sagen Sie ihm auf dem Kopf zu, dass er ein verdammtes Stück Dreck ist, das niemals aus diesem Gefängnis herauskommt, denn dafür würden Sie sorgen. Und dann reizen Sie ihn, indem Sie ihm vorhalten, dass es ohnehin keine Seele interessiert, ob er hier drinnen verrottet oder jemals seine Heimat wiedersieht. Sagen Sie ihm, zu Hause würde ihn niemand vermissen, nicht einmal die Schweine. Stattdessen wären alle froh, ihn endlich los zu sein. Wenn wir Glück haben, springt er genau darauf an.«
    »Das verstehe ich nicht«, gestand Lohmann kleinlaut.
    Der Kriminalbeamte blieb geduldig. »Er hält Sie für eine Witzfigur, schon vergessen? Das wird sich nicht ändern, nur weil Sie ihn anschreien. Aber, und das ist entscheidend, er wird sich dazu herablassen, mit Ihnen zu sprechen. Und dann wird er Ihnen höchstwahrscheinlich erklären, dass es sehr wohl Leute gibt, die ihn vermissen und die ein Interesse daran haben, dass er aus dem Gefängnis freikommt. Wenn wir ihn so weit haben, sollten wir ganz genau zuhören.«
    Lohmann kratzte sich am Kinn. »Hm … das klingt einleuchtend. Was meinen Sie, wie stehen die Chancen, ihn auf diese Weise zu übertölpeln?«
    »Ich glaube, die stehen gar nicht so schlecht. Wichtig ist nur, dass Sie ihm nicht versehentlich von der laufenden Befreiungsaktion erzählen. Falls doch, wird er sofort dichtmachen, dann erfahren wir nichts.« Er wandte sich an den Justizvollzugsbeamten, der bisher schweigend im Hintergrund gewartet hatte. »Befindet sich der Gefangene bereits im Verhörraum?«
    »Nein, aber er wird gerade geholt. Im Moment ist Sportstunde, also dürfte er im Fitnessraum sein, und der liegt am anderen Ende des Gebäudes. Geben Sie den Kollegen noch fünf Minuten. Der Dolmetscher wartet bereits.«
    Wolf berührte die Enden seines Schnurrbarts. »Gut.« Er nickte Lohmann zu. »Immer daran denken: Vergessen Sie Ihre gute

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