Sturms Flug
Angeblich wurden dort die Schätze …«
»Geschenkt.« Kunze winkte ab. »Eine somalische Piratenhochburg, wie? Nun, wenn das nicht perfekt zu unserem Gefangenen passt. Also horchen Sie den Kerl aus! Und denken Sie dabei an die Menschen im Flugzeug. Je mehr Informationen Sie sammeln, desto besser für die Polizei und damit für die Geiseln. Ich schlage vor, dass Sie sich sofort an die Arbeit machen.«
Das Jungengesicht wurde käseweiß. »Warum ich? Die Polizei hat ausgebildete Spezialisten …«
»Papperlapapp! Sie sind der ideale Mann für diese Aufgabe! Schließlich haben Sie Omar bereits stundenlang verhört und inzwischen sogar weichgekocht, wie Sie mir vorhin versicherten.« Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. »Folglich kennen Sie ihn, und er kennt Sie. Höchstwahrscheinlich hat er Sie sogar schon akzeptiert, sodass Sie leichtes Spiel haben. Nutzen Sie diesen Vorteil, und finden Sie heraus, wer ihn freibekommen will.«
»Ich … ich kann das nicht«, stammelte Lohmann. »Sie müssen etwas wissen. Unbedingt! Es ist nämlich so, dass ich …«
»Genug jetzt, hören Sie auf zu kokettieren!«
»Sie verstehen mich nicht!«, wand sich Lohmann verzweifelt.
»Doch, ich verstehe Sie sehr wohl. Sie haben gute Arbeit geleistet, und das weiß ich durchaus zu schätzen. Doch bevor ich Ihnen den verdienten Orden an die Brust hefte, gilt es, die einhundertvierundachtzig Passagiere an Bord des Fluges SWX 714 zu retten.«
Ehe Lohmann noch einmal versuchen konnte, die Wahrheit zu beichten, erschienen zwei Männer, einer in der Uniform der JVA , der andere in Zivil. Das äußere Erscheinungsbild des Zivilisten war wie aus dem sprichwörtlichen Ei gepellt: Maßanzug, Kaschmirmantel, im Gesicht einen preußischen Zwirbelschnurrbart mit akribischer Trimmung und militärisch ausgerichteten Enden.
»Ah, die Herren von der Staatsanwaltschaft«, stellte er nüchtern fest.
Kunze kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Das ist Herr Wolf«, antwortete Lohmann anstelle des Schnurrbartträgers. »Er ist der Leiter des KK 21. Wir kennen uns flüchtig, da ich das Vergnügen hatte, im Sommer in seinem Kommissariat zu hospitieren. Ich war damals Frau Sturm zugeteilt.«
Wolf nickte knapp, dann kam er gleich zur Sache. Er war zweifellos ein Mann der Tat, wenngleich Lohmann den Eindruck hatte, dass ihn die Erwähnung Frau Sturms für einen Sekundenbruchteil aus dem Konzept gebracht hatte. Das war merkwürdig.
»Ich bin aus dem gleichen Grund hier wie Sie«, erklärte Wolf, »und der heißt Omar Aidid. Unter den gegebenen Umständen würde sich normalerweise die Verhandlungsgruppe mit ihm befassen, doch leider sind die Kollegen in einem anderen Einsatz gebunden, irgendwo im Ruhrgebiet. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht warten können, bis sie wieder verfügbar sind. Deshalb bin ich hier. Sie sollten zudem wissen, dass ich vor meiner Zeit beim KK 21 bei der VG tätig war. Das ist zwar schon eine ganze Weile her, aber momentan fehlen uns die Alternativen.«
Lohmann machte in Gedanken drei Kreuze. Demnach würde sich Wolf des Somaliers annehmen. Gerettet!
Die Erleichterung währte nicht lange, denn auf einmal sah er wieder einen Zeigefinger auf sich gerichtet, diesmal jedoch nicht den des Eisenschädels, sondern den des Schnauzbartes.
»Ich habe mir vorhin die Videoaufzeichnungen der Verhöre angeschaut, die Sie mit Omar geführt haben«, erklärte Wolf. »Notgedrungen im Schnelldurchlauf, doch das, was ich gesehen habe, reicht mir für eine Beurteilung.«
Der Jungstaatsanwalt setzte ein dümmliches Grinsen auf, die Verlegenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Verdammt, jetzt würde Kunze von einem Dritten die Wahrheit erfahren, noch dazu von einem Fremden! Er überlegte fieberhaft, wie er das Unvermeidliche doch noch verhindern konnte, kam jedoch zu keinem brauchbaren Ergebnis. Also schloss er die Augen in Erwartung der Katastrophe.
Doch dann, zu seinem größten Erstaunen, hörte er den Kriminalbeamten sagen: »Sie sind genau der Richtige, um Omar auszuhorchen. Ich schlage deshalb vor, dass Sie das Verhör übernehmen und ich mich im Hintergrund halte. Selbstverständlich werde ich Ihnen vorher noch ein paar Verhaltensregeln an die Hand geben, Erfahrungen aus der Praxis, aber insgesamt sehe ich keinen Grund, mich einzumischen.«
Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Wahrscheinlich, so nahm er an, hatte Wolf bei seiner Schnelldurchsicht der
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