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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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am ganzen Körper.
    »Keine Angst«, flüsterte er ihr zu. Dabei ließ er seine Stimme zuversichtlich klingen, obwohl er in Wirklichkeit keinerlei Optimismus verspürte. »Wir überstehen das. Wir kommen hier heil wieder raus. Wie heißen Sie?«
    »Ernestine«, hauchte sie so leise, dass es kaum zu verstehen war.
    »Schöner Name, gefällt mir«, log er. »Kennen Sie den Rautek-Griff?«
    »Ich glaube nicht.«
    Er wies auf den Toten. »Egal. Ich werde ihn jetzt hochheben. Wenn Sie dann seine Beine nehmen könnten …«
    Asads Geschrei unterbrach ihn, Ernestine zuckte zusammen. »Schluss mit dem Palaver, Geige! An die Arbeit! Das gilt auch für dich, Krähe!«
    Dieser Spitzname musste sich auf ihr Haar beziehen, das kohlschwarz war und so sehr glänzte, dass es tatsächlich an das Gefieder eines Rabenvogels erinnerte.
    Die junge Frau stieg hastig über den Leichnam hinweg, um zu seinen Füßen zu gelangen, wo sie in die Knie ging. Bernd richtete derweil erneut den Oberkörper des Toten auf und wendete den Rautek-Griff an, wie er es vorhin schon einmal getan hatte. Ächzend stemmte er sich mitsamt dem Ballast in die Höhe. »Nehmen Sie die Beine!«, wies er sie an.
    Sie zögerte, und es schien, als würde sie in Tränen ausbrechen, doch dann packte sie beherzt zu, und es war verblüffend, wie viel Kraft diesem zierlichen Menschlein innewohnte. Gemeinsam gelang es ihnen, den toten Easy Rider in die Bordküche und vor den Ausstieg zu bugsieren. Als das vollbracht war, klebte ihm der Schweiß das Hemd an den Rücken.
    »Gut gemacht, Geigenmann«, lobte Asad spöttisch. »Jetzt schmeiß ihn raus!«
    »Ich weiß nicht, wie man die Tür öffnet, Hoheit.«
    Er betrachtete das Schott und sah einen massiven Griff, der große Ähnlichkeit mit jenen Verriegelungen aufwies, die man aus Zügen oder Straßenbahnen kannte. Während er daran zog und zerrte, schimpfte der Afrikaner ohne Unterlass. So schwer könne es doch nicht sein, die verdammte Tür aufzumachen, nicht einmal für eine verdammte Geigenschwuchtel, ereiferte er sich. Das Gezeter verstummte erst, als ein Zischen verkündete, dass die Fummelei an dem Griff tatsächlich etwas bewirkte. Ein Spalt tat sich auf, durch den ein eisiger Wind hereinstrich.
    In dieser Sekunde beschloss Bernd zu flüchten.
    Der Gedanke bescherte ihm augenblicklich ein schlechtes Gewissen, da er sich einredete, Ernestine beschützen zu müssen, doch das war idiotisch. Nein, statt den edlen Ritter zu mimen und sein Leben zu verlieren, würde er rennen, wie er noch niemals gerannt war.
    Geh endlich auf!
    Das Zischen der Pneumatik erstarb, doch der Türspalt wurde nicht größer.
    »Sie müssen den Rest von Hand erledigen«, hörte er Grietjes Stimme in seinem Rücken. Die Stewardess war auf ihn zugeschlichen, ängstlich und darum bemüht, den toten Easy Rider nicht zu berühren. »Einfach aufschieben, es ist kinderleicht.«
    Er umklammerte den Griff, drückte ihn zur Seite, spürte, wie sich die schwere Tür bewegte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
    Er warf einen hastigen Blick zurück. Die enge Bordküche, die man zwangsläufig passieren musste, um nach draußen zu gelangen, war ein unbezahlbarer Verbündeter. Grietje stand gleich hinter ihm und daneben Ernestine, sodass Asad höchstwahrscheinlich nicht einmal mitbekam, was bei der Tür vor sich ging. Und wenn er es schließlich doch bemerkte, würde er einige Mühe haben, sich an den beiden Frauen vorbei nach vorn zu quetschen, was zusätzlich durch den im Weg liegenden Leichnam erschwert würde. In der Zwischenzeit wäre Bernd längst die Gangway hinuntergesprintet und unter dem Rumpf des Flugzeugs abgetaucht. Wenn er das schaffte, war die schlimmste Gefahr vorüber, weil er sich dann nicht mehr in dem Bereich befand, den der Afrikaner mit seiner Maschinenpistole unter Beschuss nehmen konnte. Und verfolgen konnte er ihn ebenfalls nicht mit seinem Hinkebein. Bernd würde in die entgegengesetzte Richtung des Ausstiegs rennen und dann einen weiten Bogen schlagen, um zum Terminal zu gelangen.
    Mit einem Ruck gab die Tür den Weg frei.
    Die tief stehende Dezembersonne, die gerade durch das einzige Wolkenloch im grauen Himmel fiel, ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Er holte Luft, spannte die Muskeln an, verlagerte sein Gewicht auf das Standbein. Ein letztes Mal fragte er sich, ob er das Wagnis eingehen sollte.
    Natürlich sollst du! Bloß weg von diesem Wahnsinnigen!
    Dann gewahrte er etwas, das seinen Fluchtplan mit einem Schlag

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