Sturms Jagd
Bulle dastehen, der ein Verbrechen ermöglicht hatte. Das war die Rollenverteilung.
Verdammt, es war ein Fehler gewesen, sich mit Smertin und seiner Bande einzulassen!
Doch das war im Moment sein geringstes Problem. Viel schlimmer waren die unerklärlichen Krämpfe im Unterleib, die vor einer Stunde angefangen hatten und dafür sorgten, dass er sich mittlerweile im Minutentakt krümmte und wand und auf dem Bett hin- und herwälzte. Kurz danach waren Fieber und Schüttelfrost hinzugekommen und seit ein paar Minuten auch unerträgliche Übelkeit. Zum Glück hatte er in der Kommode einen alten Putzeimer gefunden, in den er sich erbrechen konnte.
»Ich brauche einen Arzt!«, rief er.
Das war sinnlos, denn in seiner Kammer hörte ihn niemand. Draußen rumorten Maschinen, gewaltige Maschinen, die einen Höllenlärm verursachten. Das Radio hatte Mühe, dagegen anzukommen.
Schließlich gelang es ihm doch noch, jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Bis dahin verging fast eine halbe Stunde, in der er wie besessen gegen die Tür hämmerte, immer wieder unterbrochen von krampfartigen Schmerzen und minutenlangem Würgen. Sein Erbrochenes war giftgrün und schmeckte nach Galle.
Endlich steckte einer von Smertins Leuten den Kopf zur Tür herein. Es war der Kerl namens Pjotr.
»Was willst du?«, fragte er in gutem Deutsch mit leichtem Akzent. »Hat dir dein Frühstück nicht geschmeckt? Oder musst du schon wieder zum Topf? Du hast doch heute schon. Drei Mal am Tag war ausgemacht.«
»Ich muss nicht zur Toilette«, jammerte Baumeister. »Mir ist schlecht. Ich … ich bin krank. Ich brauche einen Arzt. Bitte!«
Ein Geruch wie in einer Metzgerei drang durch die offene Tür herein.
Angewidert fixierte Pjotr den Eimer mit dem Erbrochenen. »Dir ist schlecht?«, fragte er über den Lärm der entfernten Maschine und das Dudeln des Radios hinweg. »Verträgst keinen Wodka, wie? Victor hat erzählt, dass er dir gestern Nacht von seinem Besten spendiert hat.«
»Spendiert? Eingeflößt hat er ihn mir. Aber daran liegt es nicht. Bitte ruf einen Arzt.«
Auch Baumeister hatte zunächst vermutet, dass der Grund für seine plötzlichen Beschwerden der gestrige Sturztrunk war. Doch seitdem waren neun Stunden vergangen, in denen er keine Übelkeit verspürt hatte. Außerdem hatte er nicht allzu viel Hochprozentigen zu sich genommen, da die Flasche fast leer gewesen und obendrein einiges verschüttet worden war. Zugegeben, der Rest reichte immer noch für einen Kater, das schon, aber er konnte unmöglich solch heftige Krämpfe auslösen. Und auf gar keinen Fall war er die Ursache für Schüttelfrost und Fieber. Dann schon eher die Schläge und Tritte, die Baumeister kassiert hatte.
Vielleicht resultierten daraus innere Verletzungen, immerhin hatte Smertin auf ihn eingetreten wie auf altes Eisen. Seine linke Seite war geschwollen und mit blauen Hämatomen übersät. Jede Bewegung schmerzte, bestimmt waren ein paar Rippen angeknackst.
»Ich will mit Smertin reden!«, forderte er.
»Von mir aus«, brummte Pjotr. »Wenn Victor mit seiner Zeitung fertig ist, werde ich ihm Bescheid sagen. Das wird allerdings noch eine Weile dauern, denn er mag es nicht, wenn man ihn beim Zeitungslesen stört.«
Ehe der Gefangene protestieren konnte, wurde die Tür zugeknallt.
Es verging eine schiere Ewigkeit, bis Smertins Totenkopfgesicht in der Tür auftauchte. Die dunklen Gläser der unvermeidlichen Sonnenbrille, ohne die man ihn niemals zu sehen bekam, bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner hellen Haut. Unwillig musterte er den Kranken, der in abstrus verdrehter Körperhaltung halb auf dem Fußboden lag, halb über der Pritsche hing. Der Putzeimer war umgefallen, sodass sich die Hälfte seines Inhaltes auf dem Linoleum verteilt hatte. Im Radio wurden passenderweise gerade Tipps für eine perfekte Sauce Hollandaise gegeben.
In Smertins Schlepptau befand sich die komplette Mannschaft, die er gestern Abend vollmundig als Die Glorreichen Sieben betitelt hatte, also jene Männer, die dazu auserkoren waren, den geheimnisvollen Auftrag auszuführen, der unter der Bezeichnung Operation Schneesturm lief. Eine Operation, für deren Erledigung Sturmgewehre benötigt wurden. Auch Smertins Intimus war anwesend, jener grotesk anmutende Mann mit der Augenklappe und dem nicht minder bizarren Spitznamen Doktor Stalin. Smertin bestand darauf, dass sowohl die Glorreichen Sieben als auch der Doktor den viel zu engen Raum betraten. Obwohl die Männer nicht die
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