Sturms Jagd
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Lohmann rümpfte beleidigt die Nase, denn sein Anzug war nicht nur sündhaft teuer, sondern darüber hinaus tadellos in Schuss. Das Hemd knisterte vor Wäschestärke, die Bügelfalten sahen aus wie mit dem Lineal gezogen, die Schuhe, schwarze Slipper, strahlten in makellosem Glanz. Natürlich taten sie das, denn Lohmann hatte sie noch vor wenigen Minuten auf der Herrentoilette poliert, mit einem eigens dafür mitgebrachten Tuch. Er war bemüht, an seinem ersten Tag einen perfekten Eindruck zu hinterlassen.
Es entstand eine lange Pause der gegenseitigen Musterung, in der lediglich das Rotieren des Ventilators zu hören war sowie von draußen das sich rasch entfernende Plärren eines Martinshorns.
»Ich freue mich, hier zu sein«, versicherte Lohmann, nachdem er den Ärger über die Herabwürdigung seiner Garderobe hinuntergeschluckt hatte. Er deutete eine Verbeugung an, was sogleich dafür sorgte, dass ein Hauch von Rot über seine Wangen huschte, als ihm aufging, wie albern der Bückling wirkte. »Ich heiße Lohmann«, stammelte er überflüssigerweise. »Magister Juris Bodo Lohmann, derzeit Rechtsreferendar in Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen. Sie sind Frau Sturm, nehme ich an?« Die Frage war ebenfalls überflüssig.
»Nicht Frau Sturm«, entgegnete sie. »Einfach nur Mara.«
Lohmann schien ihre Worte nicht zu hören. Er gab erst Schmitz die Hand, da er irrigerweise annahm, die älteste im Raum befindliche Person werde stets zuerst begrüßt. Anschließend baute er sich vor Maras Schreibtisch auf und grapschte ungelenk nach ihrer Rechten, die er sogleich wie einen Pumpenschwengel zu schütteln begann.
Er hat den Händedruck eines Mädchens , dachte sie.
Himmel, sie zerquetscht mir die Finger! , ging es ihm durch den Kopf. In der nächsten Sekunde registrierte er, wie angenehm weich sich Frau Sturms Hand anfühlte, trotz der Kraft, die offensichtlich in ihr steckte. Er starrte ihr in die grünen Augen. Sie ist alt, überlegte er, mindestens fünfunddreißig, vielleicht sogar älter, aber das ist kein Nachteil. Tolle Ausstrahlung! Alsdann fiel ihm auf, dass sie keine Schuhe anhatte. Ihre Füße waren nackt und zierlich und rosig, die Nägel perlmuttfarben lackiert. Lohmann war verwirrt. Er bemerkte, dass Frau Sturm ganz leicht nach einem Parfüm duftete, das er noch nie gerochen hatte.
Plötzlich überkam ihn die wilde, vollkommen absurde Fantasie, ihr T-Shirt zu lüften und sein Gesicht zwischen ihren Brüsten zu versenken, um den Duft zu inhalieren. Die bloße Vorstellung ließ ihn erneut erröten, wobei es diesmal nicht bei einem Hauch blieb, sondern sein Kopf die Farbe eines Feuermelders annahm.
»Wie alt bist du?«, fragte sie.
Er gab keine Antwort. Neben dem Schreibtisch entdeckte er ein Paar Motorradstiefel, über deren Schäfte derbe Wollsocken hingen. Wieder erhaschte er einen Blick auf ihre nackten Füße. Endlich ließ er ihre Hand und ihre Füße los – Letztere gedanklich – und wich eilig einen Schritt zurück. »Ich … ich bin achtundzwanzig«, stammelte er.
»Du siehst viel jünger aus.«
Sie fixierte ihn. Sein Haar war kurz und strubbelig, sein Kinn glatt wie der berühmte Babypopo. Alle Anzeichen von Bartwuchs waren auf das Sorgfältigste entfernt worden. Dass er achtundzwanzig sein sollte, war kaum zu glauben.
»Was willst du mal werden, wenn du zu Ende studiert hast«, fragte Schmitz mit unverhohlener Ablehnung. »Rechtsanwalt oder Staatsanwalt?«
Lohmann war nicht der erste Rechtsreferendar, der bei der Polizei vorbeischaute, und er war ebenfalls nicht der Erste, dem diese Frage gestellt wurde, die als eine Art Prüfung zu verstehen war; lautete die Antwort Rechtsanwalt, war der Kandidat bei den Polizisten unten durch, lautete sie Staatsanwalt, hatte er wesentlich bessere Karten.
Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Am liebsten wäre mir das Richteramt.«
Dazu fiel Schmitz nichts Passendes ein.
»Wie lange hast du bis zum ersten Staatsexamen gebraucht?«, wollte Mara wissen.
Sie erinnerte sich, dass Annes jüngster Sohn ebenfalls Rechtswissenschaften studierte und dass sich Anne ständig über ihn beklagte. Zum einen wäre es der Redakteurin lieber gewesen, wenn sich ihr Spross für Journalismus entschieden hätte, zum anderen jammerte sie andauernd darüber, wie faul er war. Wenn sich Mara recht entsann, hatte er bisher zwölf oder dreizehn Semester studiert – rumgeeiert , wie Anne es nannte –, ohne auch nur ernsthaft über das erste Staatsexamen
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