Sturms Jagd
nicht Bedarfspolizei, sondern Bereitschaftspolizei.«
»Von mir aus. Auf jeden Fall hatten sie die Helme heute zu Hause gelassen und die Schlagstöcke gegen Maschinenpistolen getauscht.«
»Kein Witz?«
»Kein Witz.« Er nickte bekräftigend. »Sie haben die Asservate bewacht, vermute ich. Muss was ziemlich Wichtiges dabei gewesen sein.«
»Nehm ich auch an«, sagte sie ohne einen Funken wirkliches Interesse. Ihre Gedanken drehten sich bereits wieder um Laura.
Sie verließen das Präsidium und eilten zum Parkplatz. Als Mara vor dem Wanderfalken stehen blieb und den Schlüssel aus der Jackentasche fischte, sah sich Lohmann nach allen Seiten um. Ein Auto befand sich nicht in Reichweite.
»Was ist das?«, fragte er fassungslos.
»Was?«
»Na das hier. Dieses … dieses Geschoss.«
»Sieht aus wie ein Motorrad, oder?« Sie schwang sich auf den Sitz. »Was denkst du, weshalb du dir einen Helm besorgen solltest? Jetzt mach den Mund zu und setz das Ding auf, damit wir losfahren können.«
Mara hatte ihren Helm bereits angezogen, doch Lohmann rührte sich nicht von der Stelle.
»Sie verlangen allen Ernstes, dass ich mich da draufsetze? Auf diese Höllenmaschine? Wem gehört das Teil überhaupt? Ihnen doch sicherlich nicht. Haben Sie es sich ausgeliehen? Weiß der Besitzer davon? Motorradfahren ist gar nicht so einfach, müssen Sie wissen. Ich hatte mal ein Leichtkraftrad, doch das war nichts für mich. Man braucht viel Übung, um sicher mit einem Zweirad …«
Sie ignorierte ihn und ließ den Motor an. Der Wanderfalke schüttelte sich, die Auspuffrohre vibrierten.
Er machte immer noch keine Anstalten, aufzusteigen. »Frau Sturm«, hob er an, doch was er dann sagen wollte, war nicht mehr zu verstehen, da sie den Gashebel betätigte und die Maschine im Stand aufheulen ließ. Der Geräuschpegel schnellte sprunghaft in die Höhe und malträtierte die Trommelfelle. Der Falke wartete darauf, losgelassen zu werden.
»Feigling!«, spottete sie, als der Motor wieder im Standgas vor sich hin ratterte.
Das saß. Ohne einen weiteren Kommentar mühte er sich auf den Sozius. Der war kurz, beängstigend kurz, wodurch seine Lenden Kontakt mit Frau Sturms Heckpartie bekamen. Das machte ihn verlegen, und die Stelle, an der er sie berührte, wurde ganz warm.
»Halt dich an mir fest!«, befahl sie.
Er hatte die Hände kaum auf ihre Hüften gelegt, was seine Verlegenheit noch steigerte, als sie erneut am Gashebel riss, diesmal jedoch mit eingelegtem Gang. Das kam so unverhofft, dass er nicht mehr die Zeit fand, sie auf die Statistik über Motorradunfälle hinzuweisen, die er vor kurzem gelesen hatte. Das Hinterrad radierte über den Asphalt, im nächsten Augenblick ging es in halsbrecherischem Tempo durch die Stadt.
In weniger als fünfzehn Minuten hatten sie das Ziel erreicht.
Kapitel 15
Mara bockte das Motorrad am Straßenrand auf, genau neben der Parklücke, in der noch vor wenigen Stunden Lauras Corsa gestanden hatte. Mittlerweile parkte ein anderes Auto an der Stelle, während Lauras Wagen abgeschleppt worden war, um ihn auf mögliche Spuren zu untersuchen. Mara hatte keine Ahnung, was die kriminaltechnische Untersuchung ergeben hatte.
»Wie spät ist es?«, fragte sie.
Lohmann wirkte wie benommen. Er hatte noch nie auf einem richtigen Motorrad gesessen und schon gar nicht auf einem, das mit fünffacher Lichtgeschwindigkeit durch die Innenstadt gebraust war. Das Gefühl war unbeschreiblich gewesen, eine Mischung aus blankem Entsetzen und grenzenloser Freiheit, wenngleich sich die letztere Formulierung reichlich schwülstig anhörte. Dennoch beschrieb sie exakt seinen Eindruck, eine Empfindung, die so intensiv war, dass er völlig vergaß, Frau Sturm dafür zur Rede zu stellen, dass sie sämtliche Verkehrsregeln missachtet hatte. Grundgütiger, diese Frau war eine Anarchistin mit Kriminalermarke. Allerdings eine umwerfende.
»Du darfst mich jetzt loslassen«, sagte sie, bevor sie abstieg.
Er beeilte sich, die Hände von ihren Hüften zu nehmen.
»Wie spät?«, drängte sie.
»Äh … kurz vor halb drei.«
Sie nickte versonnen, dann sprach sie in gedämpftem Tonfall. »Vor ziemlich genau achtundvierzig Stunden, also am Dienstag um halb drei, wurde an diesem Ort eine junge Frau entführt. Ihr Name ist Laura Rosenzweig, und sie geht in dieser Straße einem Aushilfsjob nach, einer Putzstelle in einem der Häuser dort drüben.« Sie nickte in Richtung von Annes Haus.
Er hatte den Ernst der Lage noch nicht erkannt.
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