Sturms Jagd
der asphaltierten Fläche.
Laura ahnte nicht, dass es sich dabei um den ehemaligen Schlachthof handelte, der mittlerweile nur noch als Lager für allen möglichen Krimskrams diente, beispielsweise für ausrangierte Maschinen, für Berge von Verpackungsmüll, für Autoreifen, für Kokain, für Sturmgewehre – und für ein augenscheinlich nagelneues Flugzeug im Format eines Omnibusses, das gleich hinter einem offenen Rolltor in einer großen Halle stand.
Sie spurtete durch das Tor, der Klang ihrer Schritte wurde als Echo von den kahlen Wänden zurückgeworfen. Die Halle war hoch wie ein Dom.
»Bleib stehen, Kurwa !«, brüllte Pjotr hinter ihr. Seine Stimme wurde nicht zu einem bloßen Echo, sondern zu einem Furcht einflößenden Donnergrollen.
Sie kümmerte sich weder um das Flugzeug noch um das Geschrei des Verfolgers, sondern kroch auf allen vieren unter ein Regal, das unmittelbar neben dem Eingang an der Ziegelmauer stand. Ein Karton, den sie in die Finger bekam und hastig in Position rückte, diente ihr als Sichtschutz. Sogleich erklang Pjotrs Keuchen, begleitet von einem Wust russischer Ausdrücke, bei denen es sich um Flüche handelte, wie die Stimmlage unschwer erkennen ließ.
Sie wagte kaum zu atmen. Aus ihrem Versteck sah sie den Russen, der im Torbereich stehen geblieben war und mit in die Hüften gestemmten Armen in die Runde spähte. Vermutlich hatte er sie für einen winzigen Moment aus den Augen verloren, als sie in den Schatten der Halle eingetaucht war. Kurz darauf erschienen der Dressman und der lange Lulatsch, bevor als Letzter im Bunde Kippe hinzukam, hechelnd wie ein Hund.
»Wo ist sie?«, fragte das Scheusal schwer atmend.
Laura konnte ihn deutlich verstehen, denn das Quartett war weniger als fünf Meter entfernt.
»Keine Ahnung«, gab Pjotr zurück. »Irgendwo hier drin.«
»Sicher?«
»Hundert Pro! Ich habe sie reinlaufen sehen!«
»Und wenn sie hinten wieder raus ist?«, wollte Kippe wissen.
Diesmal antwortete der Dressman. »Die anderen Ausgänge sind durch Eisentüren blockiert, das weißt du genau. Victor hat sie damals einbauen lassen, nachdem sich die Landstreicher hier eingenistet hatten.«
Das tätowierte Scheusal gab sich damit nicht zufrieden. »Und wenn sie aus dem Fenster klettert?«
»Dann wird sie sich sämtliche Gräten brechen.«
Das stimmte höchstwahrscheinlich, denn die Fenster befanden sich in einer Höhe von neun oder zehn Metern, gleich unter der Decke. Sie waren nicht zum Hinausgucken gedacht, sondern sollten lediglich Licht hereinlassen. Kippe legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Milchglasscheiben, die fast alle beschädigt waren. »Wieso ist die Decke eigentlich so hoch? Ist doch kein verdammter Flugzeughangar, sondern eine alte Schlachterei. Auch wenn jetzt ein Flieger drinsteht.« Er kratzte sich im Schritt.
Weil in einem Schlachthof mit viel Wasserdampf gearbeitet wird, du Armleuchter , dachte Laura in ihrem Versteck. Ihr Onkel war ebenfalls Metzger, deshalb wusste sie Bescheid. Da man früher noch keine modernen Absauganlagen und Lüftungssysteme kannte, hatte man die Decken entsprechend hoch gebaut, damit der Dampf genug Platz hatte, sich zu verteilen.
Allmählich schliefen ihr die Beine ein. Sie lag da in Pakethaltung, die Knie angezogen bis unter den Hals, die Arme um die Knie geschlungen. Wenn sie von Zeit zu Zeit einen behutsamen Blick wagte, sah sie von ihren Verfolgern nur die untere Körperhälfte bis hinauf zum Gürtel. Sie fragte sich, wie lange sie noch in dieser Position verharren musste.
Derweil ging der Dressman zu einem elektronischen Bedienelement an der Wand und drückte auf einen Knopf, worauf das Rolltor geräuschvoll herunterfuhr. »Wenn Victor erfährt, dass uns die Schlampe abgehauen ist, legt er uns glatt um. Am besten erzählen wir ihm gar nichts davon und sperren sie einfach hier ein. Wir schließen das Tor von außen ab, dann kann sie es nicht per Knopfdruck öffnen.«
»Wie, abschließen?«, blaffte Kippe. »Ich will sie haben.« Seine Stimme überschlug sich. »Jetzt.«
Der Tonfall des Dressmans wurde ärgerlich. »Viel Spaß beim Suchen. Weißt du, wie groß diese Halle ist? Hier gibt es eine Million Verstecke, mit all dem Gerümpel, das hier herumsteht. Wenn sie clever ist, wird es Stunden dauern, bis wir sie gefunden haben. Dazu fehlt uns die Zeit, zumindest im Moment. Warte bis morgen. Wenn alles vorbei ist, kommen wir mit einem Hund zurück, dann haben wir sie im Handumdrehen. Bis dahin ist sie hier
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