Sturms Jagd
nichts als Bremslichter. Himmel, jetzt nur kein Unfall oder etwas anderes, das es erforderlich machte, auszusteigen. Oder gar eine Polizeikontrolle!
O nein, alles, nur nicht das! So etwas hatte eine Halbwertzeit von weniger als einem Tag. Binnen kürzester Zeit würde das ganze Präsidium wissen, dass Tamara Sturm vom KK 21 durch die Stadt fuhr mit nichts am Leib als einem champagnerfarbenen Bustier Toscana und passendem Slip, der so winzig war, dass er in eine Walnuss gepasst hätte. In Gedanken hörte sie bereits die gesamte Kantine lästern, und das Schild mit der Aufschrift Müllkippe , das auch nach Lohmanns Entrümpelungsaktion noch immer ihre Bürotür zierte, würde garantiert ersetzt werden, etwa durch die Ganzkörperdarstellung einer leicht bekleideten Zwanzigjährigen aus der Blitz-Illu.
Die Sorge erwies sich als unnötig, als der Verkehr wieder anrollte. Glück gehabt, keine Polizeikontrolle, nur ein Opa mit Hut und Schwierigkeiten beim Einparken. Jetzt aber weiter. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Exakt zwanzig nach zehn. Um halb elf erwartete Tom sie im Restaurant, nicht zum Essen, sondern zum Cocktail. Halb elf, das war nicht mehr rechtzeitig zu schaffen. Mist!
Von den schätzungsweise dreißig Verabredungen, die sie bisher gehabt hatten, war Mara ungefähr zu jeder zweiten zu spät gekommen, während sie dreimal sogar ganz abgesagt hatte, weil ihr dienstliche Belange in die Quere gekommen waren. Auch an diesem Abend herrschten wieder einmal ungünstige Voraussetzungen, und wenn nachher ihr Handy klingelte, bedeutete das höchstwahrscheinlich, dass Petrow nach Hause gekommen war. Dann musste sie sofort los.
Sie hoffte, dass ihr bis dahin genug Zeit blieb, etwas zu tun, das sie sich vor drei Tagen fest vorgenommen hatte.
Und das war alles andere als eine Kleinigkeit! Wenn sie darüber nachdachte, stieg augenblicklich ihr Blutdruck, denn vor kurzem war ihr etwas klar geworden, gegen das sie sich lange mit aller Macht gesträubt hatte. Es war ein Gefühl, ein altbekanntes, bereits beerdigtes Gefühl, das wiederauferstanden war, tief in ihrem Inneren, irgendwo zwischen Bauchnabel und Herz, und das schließlich auch ihren Kopf erreicht hatte.
In drei Worten: Sie war verliebt!
Unglaublich, denn nach der Trennung von ihrem Mann hatte sie entschieden, nie mehr jemanden an sich heranzulassen. Doch manche Dinge wurden einfach zum Selbstläufer – so wie ihre Zuneigung zu Tom.
Er hatte ihr bereits nach sehr kurzer Zeit gestanden, mehr von ihr zu wollen als bloße Freundschaft, aber sie hatte sich eine unbestimmte Bedenkzeit erbeten, aus Angst und Unsicherheit. Doch damit war jetzt Schluss, mittlerweile hatte sie eingesehen, dass sie nicht gegen ihre Gefühle ankam, und das war vermutlich gut so. Schon seit drei Tagen freute sie sich auf seine Reaktion, wenn sie ihm feierlich verkündete, dass sie nun ebenfalls bereit war, sich auf eine feste Beziehung mit ihm einzulassen. Aus diesem Anlass hatte sie ein Geschenk gekauft, das sie ihm überreichen wollte, nämlich eine extrem seltene Reproduktion einer original Galilei-Sternenkarte, die zu besorgen fast ein Ding der Unmöglichkeit gewesen war.
Sie lachte, denn sie erinnerte sich daran, wie Tom von Anfang an Vollgas gegeben hatte. Das Szenario nach dem Unfall war beinahe filmreif gewesen …
Nachdem sie aus ihrer Ente gekrochen war, hatten sie zunächst die Personalien ausgetauscht, zwecks Schadensregulierung.
»Sollen wir die Polizei rufen?«, hatte er gefragt.
Sie verneinte, unterließ es aber, ihm zu erklären, dass die Polizei bereits an Ort und Stelle war. Er sah nicht aus wie jemand, der sich darum drücken würde, den Schaden zu begleichen. Das hatte er nicht nötig.
»Geben Sie mir einfach Ihren Personalausweis und die Zulassung dieses Monstertrucks, dann notiere ich mir alles. Ich melde mich dann bei Ihnen. Oder meine Versicherung, besser gesagt.«
»Schade«, sagte er leise, aber trotzdem vernehmbar, während er zum Wagen ging, um die Papiere zu holen, »es würde mir besser gefallen, Sie würden sich bei mir melden.«
Mara glaubte, sich verhört zu haben.
Im nächsten Moment hielt er ihr die Rechte hin. »Ich bin Tom.«
Vollkommen überrumpelt ergriff sie die Hand. Der Druck war fest, kraftvoll. »Mein Name ist Sturm.«
Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. Dann, als hätte er das Wort Abfuhr noch nie gehört, fragte er: »Haben Sie auch einen Vornamen, Frau Sturm?«
»Wieso wollen Sie den wissen, Herr Tom?«
Er lachte,
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