Sturms Jagd
das Wort ab. »Gut gemacht, Böll, ganz ausgezeichnet. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Das wird nicht Ihr Schaden sein. – Entschuldige, Bodo, ich habe dich unterbrochen. Wir sprachen von deiner Mentorin.« Er lachte vergnügt. »Was ist sie denn für eine Person, diese Oberkommissarin?«
Lohmann sprach, ohne nachzudenken. »Außen Chrom und Leder, innen Samt und Seide.«
»Wie bitte? Wie darf ich das verstehen?«
Erst gestern hatte Onkel Waldemar seinem Neffen von der unmöglichen Beamtin erzählt, von dieser Umstürzlerin, die wahrscheinlich die Schuld daran trug, dass sein Vorgänger abgesägt worden war, indem sie für dermaßen schlechte Schlagzeilen gesorgt hatte, dass er geopfert werden musste. »So funktioniert Politik«, hatte er gehadert, »Untergebene machen Fehler, die Verantwortlichen werden bestraft. Aber nicht mit mir, mein Junge, du weißt, das ich mich in spätestens fünf Jahren im Landtag sehe, da kann ich mir keine Skandale erlauben.«
Lohmann hatte ihn gefragt, ob eine unbedeutende Beamtin tatsächlich in der Lage war, den Stuhl des Polizeipräsidenten ins Wanken zu bringen, ganz gleich, was sie auch anstellen mochte, worauf ihm Onkel Waldemar, beredt wie eh und je, die Mechanismen der hohen Politik erläutert hatte. Am Ende seiner Ausführungen war Lohmann überzeugt gewesen, ein gutes Werk zu tun, wenn er dabei half, eine aufmüpfige Polizistin in die Schranken zu weisen. Doch das war gestern gewesen, bevor ihr merkwürdiger Zauber auf ihn gewirkt hatte. Gestern war heute noch morgen.
»Du sollst doch nur darauf achten«, hatte Onkel Waldemar versichert, »dass sie nicht wieder durchdreht. Bewahre mich vor Schaden und gib mir rechtzeitig Bescheid, damit ich die Notbremse ziehen kann, wenn nötig. Und in zwei oder drei Wochen habe ich eine Aufgabe für diese draufgängerische Person gefunden, die ihren Neigungen entspricht und wo sie sich schadlos austoben kann.«
Dr. Bohne und Oswald Boll starrten Lohmann erwartungsvoll an. »Nun«, wiederholte der PP, »wie darf ich das verstehen, außen Chrom …?«
Lohmann war verlegen. Nervös trat er von einem Bein aufs andere. »Tja … ich habe den Eindruck, dass sie ein sehr kluger und feinsinniger Mensch ist. Ganz im Gegensatz zu ihrem Äußeren, das irgendwie … Furcht einflößend wirkt. Hart. Zäh.« Er kaute nervös an seinen Fingerknöcheln.
»Klug und feinsinnig?«, echote Boll spöttisch. »Das ist die Übertreibung des Jahrhunderts! Diese Person ist ein beständiger Auslöser für alle möglichen Beschwerden! Ein taktloses Flintenweib, das für schlechte Presse sorgt, wenn ich Sie daran erinnern darf, Herr Polizeipräsident.« Er hob mahnend den fetten Zeigefinger. »Sie macht, was sie will, denken Sie nur an die ständigen Dienstfahrten mit dem privaten Motorrad, von denen ich Ihnen erzählt habe.«
Herr Dr. Bohne sah seinen Neffen fragend an. »Was sagst du dazu?«
Lohmann dachte daran, wie er sich an ihren Hüften festgeklammert und die Wärme ihres Hinterteils gespürt hatte, als sie mit dem Motorrad durch die Stadt geflogen waren. Fast hatte er den Eindruck, noch immer den Duft ihrer Haare zu riechen. »Frau Sturm ist außerordentlich kompetent«, antwortete er ausweichend. »Und engagiert! Wie ich schon sagte, im Moment ermittelt sie in einem Entführungsfall, und da hängt sie sich voll rein, sie gibt wirklich alles. Dabei ist das gar nicht ihre Aufgabe, denn Entführungen fallen in das Ressort eines anderen Kommissariats, frag mich nicht, welches dafür zuständig ist.«
»Ha!«, wieherte Boll. »Genau das habe ich gemeint: Sie hält sich nicht an die Regeln. Diese Frau macht, was ihr gerade passt. Wozu soll das gut sein? Will sie den Polizeiapparat neu organisieren? Weshalb macht sie nicht einfach ihre Arbeit, in ihrem Kommissariat?«
Lohmann war schockiert, als er einsah, dass Boll recht hatte. Und noch etwas dämmerte ihm, nämlich, dass seine vordringliche Aufgabe nicht darin bestand, darauf zu achten, dass Frau Sturm kein Unheil anrichtete, sondern vielmehr darin, ihre Verfehlungen bloßzulegen. Und das Ziel dieser Überwachung war offensichtlich sie fertigzumachen! Er schluckte. Warum ging ihm das jetzt erst auf? Das Schlimme war, dass Frau Sturm sich tatsächlich andauernd irgendwelche Freiheiten herausnahm, die nicht ganz den Vorschriften entsprachen.
Ja, sie benutzte ihr Motorrad für dienstliche Fahrten und hielt sich an keine einzige Verkehrsregel, außer vielleicht an die, keine Schulkinder
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