Sturms Jagd
ließ den Schluss zu, dass hier nicht bloß alte Auslegeware entsorgt wurde, sondern etwas anderes, weitaus Heikleres. Darauf deutete auch das Verhalten des vierten Mannes hin, der den anderen nicht half, sondern die ganze Zeit in Richtung Straße spähte.
Während das geschah, wendete der Fahrer den Wagen, dessen Lichter immer noch ausgeschaltet waren.
Bukowski drehte an dem Ring, mit dem sich die Schärfe des Fernglases justieren ließ. Nun war es optimal eingestellt. Fieberhaft ließ er den Sucher hin- und herwandern, beobachtete den Wagen, den Schmieresteher, die Männer mit dem Teppich. Wie es aussah, hatten sie die Rolle endlich dort, wo sie hin sollte, halb unter den Brombeeren, denn nun machten sie sich daran, mit den Füßen Erde darüber zu scharren.
Heiliges Kanonenrohr, waren diese Armleuchter dämlich! Das sah doch ein Blinder, dass da etwas im Busch lag. Morgen früh, wenn der erste Jogger kam, würde er das Ding sofort entdecken. Die Typen hatten wirklich keinen Schimmer, wie man etwas versteckte. Er grinste. Hätten sie besser ihn gefragt. Er wusste ganz genau, wie man sich samt Ausrüstung im Gelände eingrub. Survival-Training war eben doch mehr als bloße Spinnerei. Zu dumm, dass er das Nummernschild des Wagens nicht erkennen konnte, da es vollkommen verdreckt war. Absicht? Garantiert, diese neunmalklugen Affen.
Und jetzt?
Die Kerle stiegen wieder in den Wagen. Das Zuziehen der Schiebetür war bis zum Hochsitz zu hören, danach das Motorengeräusch, das sich langsam entfernte. Die ganze Aktion hatte keine fünf Minuten gedauert. Bukowski überlegte, ob er die Bullen rufen sollte, doch bis die eintrafen, waren die Typen längst über alle Berge. Dass die Freunde und Helfer nicht zu den Schnellsten gehörten, war ja hinlänglich bekannt. Aber irgendetwas musste getan werden.
Er tauschte das Fernglas wieder gegen das Gewehr.
Der Sprinter hatte fast die Straße erreicht, immer noch in Schleichfahrt, mit ausgeschalteten Scheinwerfern. Nur noch wenige Augenblicke, dann wäre er verschwunden.
Entschlossen brachte Bukowski das Gewehr in Anschlag. Das Fahrzeugheck tauchte sofort im Absehen des Zielfernrohrs auf. Tiefer, zur Seite, noch ein Stück tiefer, dann befand sich der rechte Hinterreifen genau im Fadenkreuz. Fast 290 Meter. Dafür war ein echter Kunstschuss nötig.
Er atmete halb aus. Ruhig bleiben. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.
Und was, wenn die Typen keine Verbrecher waren und wirklich nur einen alten Teppich weggeworfen hatten? Quatsch, warum sollten sie ihren Müll unter das Gesträuch zerren? Nein, in der Rolle war eine Leiche versteckt, garantiert! Klar, was sonst? Eine verdammte Leiche, und die Mörder waren so gut wie weg.
Bukowski drückte ab.
Kapitel 27
Es war Nacht, Mond und Sterne sorgten für schwaches Licht. Mit der Langsamkeit eines Stundenzeigers bewegte sich Laura vorwärts.
Sie kroch über einen Versorgungskanal, der den alten Schlachthof, in den sie sich geflüchtet hatte, und den neuen Betrieb miteinander verband, hoch oben, in schwindelerregender Höhe, vom Dach des einen Gebäudes zum Dach des anderen. Die Verbindung sah aus wie ein Lüftungsschacht, quadratisch, Zinkblech, mit Dutzenden von Kabelsträngen und Leitungen in seinem Inneren, die mittlerweile ausgedient hatten, was Laura natürlich nicht wusste und was ihr, wenn sie es gewusst hätte, herzlich egal gewesen wäre.
Eisern zwang sie sich, nicht nach unten zu schauen, denn der Blick in die Tiefe entsprach in etwa der Aussicht vom Zehnmeterbrett im Schwimmbad, nur dass sich kein Wasser unter ihr befand, sondern eine dunkle Asphaltfläche, auf der sie sich sämtliche Knochen brechen würde, falls sie abstürzte. Sie atmete flach. Wenn sie wohlbehalten die gegenüberliegende Seite erreichte, so hoffte sie, fand sich dort vielleicht eine Möglichkeit, hinunterzuklettern und anschließend das Gebäude zu verlassen. Gearbeitet wurde drüben anscheinend nicht mehr, alles lag dunkel und verlassen da, und auch die schreckliche Knochenmühle brüllte nicht mehr. Die Geräusche, die noch zu hören waren, stammten von den Grillen in den umliegenden Wiesen und von der Autobahn, irgendwo, ganz weit weg. Die Freiheit schien zum Greifen nah.
Doch zuerst mussten die schätzungsweise zwanzig Meter bis zum anderen Dach überwunden werden. Ein schwieriges Unterfangen, da der Kabelkanal nicht dazu gedacht war, einen Menschen zu tragen, und folglich andauernd ächzte und knirschte, als breche er jede Sekunde
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