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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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fertig war, legte sie ihr Kleid ab und schlüpfte in die Männersachen. Dabei versuchte sie, die über den Boden huschenden Ratten nicht zu beachten. Einmal war es ihr, als würde der Schwanz eines der Tiere ihren Knöchel streifen. Wieder dachte sie an den schrecklichen Thron des Rattenkönigs. Vielleicht hatte er hier ja noch einen …
    Als sie fertig war, schaute sie an sich hinunter. Sie kam sich nicht wie ein Junge vor. Lag das vielleicht an ihrer Brust, die sich recht deutlich unter ihrem Hemd abzeichnete? Sie hätte sie abbinden müssen, aber jetzt hatte sie keine Zeit mehr dazu.
    Sie raffte ihr Kleid hastig zusammen und verstaute es in ihrem Bündel. Dann eilte sie wieder nach draußen.
    Der Kutscher stieg ungeduldig von einem Bein auf das andere. Aus der Ferne ertönte Kanonendonner.
    »Na endlich, komm mit«, sagte der Mann knapp und führte sie durch eine weitere Gasse direkt zu einer der Anlegestellen. Bei dem Schiff, das daran vertäut war, handelte es sich um eine Karacke mit zwei Masten. Im Gegensatz zu den Handels- und Kriegsschiffen, die sie mit Marte am Strand gesehen hatte, wirkte dieses Schiff etwas veraltet.
    Der Kutscher begleitete sie an Bord und brachte sie zu einem Mann, der sich allein schon durch seine Kleidung von den an Deck schuftenden Matrosen unterschied. Er trug ein Wams aus gutem blauem Tuch, dazu blank gewienerte Stiefel und einen Federhut mit Schnalle.
    »Ihr seid spät!«, murrte er, während er sich mit auf die Hüften gestützten Händen vor ihnen aufbaute. »Noch ein bisschen später und ich wäre ohne die Fracht ausgelaufen.«
    »Verzeiht, Kapitän Sörensen, wir wurden unterwegs aufgehalten.« Der Kutscher schob Anneke vor. »Das ist der Junge, den ich Euch bringen soll.«
    »Sollten es nicht zwei sein?«, fragte der Kapitän, während er Anneke musterte.
    Das Mädchen hatte keine Ahnung, was Jungs in dieser Situation getan hätten. Doch es schien ihr richtig, seinen Blick zu erwidern, anstatt scheu nach unten zu sehen. Das hätte sie getan, aber Hinrich sicher nicht.
    »Der andere hat sich aus dem Staub gemacht«, entgegnete der Kutscher, dann zog er etwas unter seiner Jacke hervor. Es war der Lederbeutel ihres Vaters. Offenbar war abgemacht gewesen, dem Kapitän etwas von dem Geld abzugeben. Der Kutscher nahm sich seinen Anteil heraus und reichte den Beutel dann dem Kapitän, der den Erhalt mit einem Nicken quittierte.
    »Nun denn, eilt Euch, dass Ihr von Bord kommt, wir legen ab.«
    Der Kutscher verabschiedete sich von dem Kapitän und verschwand in der Dunkelheit. Anneke konnte noch hören, wie der Wagen davonrollte, dann gab der Kapitän den Befehl, die Leinen loszumachen. Während die Taue gekappt und die Segel gesetzt wurden, führte der Kapitän Anneke zu einer der Luken, die aufs Unterdeck führten. Durch das Gitter wirkten sie wie in einem Gefängnis, was Anneke zusätzliches Unwohlsein bescherte.
    »Wie ist dein Name, Junge?«, fragte der Kapitän schließlich.
    »Ann … ich meine, Anselm«, entgegnete sie und versuchte, die Stimme dabei etwas tiefer klingen zu lassen.
    »Hast den Stimmbruch wohl noch vor dir, Kleiner, was?«, lachte der Kapitän und gab dann einem der Matrosen das Zeichen, die Luke zu öffnen.
    »Geh da runter, da sind noch andere Leute, die über das Meer wollen. Such dir einfach 'nen Platz und mach keinen Ärger, hörst du?«
    Anneke nickte eifrig, dann stieg sie die Leiter hinunter. Die Luft war stickig und feucht und roch nach fauligem Holz und Algen. Wie sie es hier tagelang aushalten sollte, wusste sie nicht, aber sie hatte keine andere Wahl.
    Noch bevor die Luke wieder geschlossen wurde, wandte sich Sörensen um und brüllte ein paar Kommandos über das Deck.
    Der Wind fing sich in den Segeln und ließ sie flattern.
    Während sich das Schiff ächzend in Bewegung setzte, fragte sich Anneke mit bangem Herzen, ob sie Stralsund jemals wiedersehen würde.

Die drei Kronen
Juni/Juli 1628
    Auf dem Schiff gab es neben Anneke auch noch andere Flüchtlinge. Zunächst dachte sie, dass es ausnahmslos Männer waren, dann entdeckte Anneke jedoch, dass auch einige verkleidete Frauen und Mädchen darunter waren.
    Es waren betuchte Leute, die das Geld für die Überfahrt aufbringen konnten. Der Wohlstand, der in ihren Wamsen eingenäht und in den Bündeln versteckt war, bewahrte sie allerdings nicht vor den widrigen Bedingungen, die sie unter Deck vorfanden.
    Die Kojen waren eng, doch jene, die eine abbekamen, konnten sich glücklich schätzen, denn

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