Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
Wals aussehen, schoss es ihr durch den Sinn.
    Noch fiel es schwer, sich vorzustellen, dass das Gebilde mal ein richtiges Schiff sein würde. Aber schon bald würde es wachsen, und wenn sie öfters vorbeischaute, hätte sie die Gelegenheit, das mitzuerleben.
    Der Mann, der nun mit langen Schritten auf sie zukam, sah allerdings ganz so aus, als hätte er etwas dagegen, dass sie hier gaffte.
    »Har du gått vilse?«, rief er ihr zu.
    Auch diese Worte verstand Anneke nicht, aber allein der Tonfall schien nichts Gutes zu bedeuten. Blitzschnell wirbelte sie herum und flüchtete vom Schiffsbauhof – allerdings nur so weit, bis sie der Mann nicht mehr ausmachen konnte.
    In der Nähe der Umzäunung, sodass weder Passanten noch Schiffsbauer sie sehen konnten, verbarg sie sich hinter einem Busch und beobachtete weiterhin das Treiben auf dem Hof.
    Darüber vergaß sie sogar, dass ihr Magen knurrte und dass Frieda Bollerstrue vor Wut wohl aus der Haut fahren würde, wenn sie ihr Verschwinden bemerkte.
    *
    Als die Dämmerung hereinbrach und mit dem Läuten der Abendglocke das Tagwerk niedergelegt wurde, verließ Anneke ihr Versteck. Ihre geheime Hoffnung, Ingmar noch einmal zu sehen, hatte sich nicht erfüllt. Aber sie war nicht enttäuscht. Ja, sie war Frieda und ihren schrecklichen Freundinnen sogar in gewisser Weise dankbar. Ohne ihre Beleidigungen wäre sie gar nicht erst an diesen faszinierenden Ort gekommen. Und dann hätte sie Ingmar nicht kennengelernt.
    Noch einmal blickte sie zur Vasa hinüber, die sich durch den Wellengang sanft hin und her wiegte. Dabei gestattete sie sich für einen Moment den Gedanken, mit diesem Schiff zu reisen, irgendwohin, wo es keinen Krieg und keine Frieda Bollerstrue gab.
    Bei der Rückkehr ins Haus ihrer Tante rechnete Anneke fest damit, dass sie Ärger bekommen würde. Vorsichtig lugte sie durch das Hoftor. Da sie niemanden sehen konnte, schlüpfte sie hindurch. Sie hielt es für besser, den Hintereingang zu nehmen, so würde sie der Hausherrin noch eine Weile aus dem Weg gehen können.
    In der Küche traf sie auf die Mägde, die – munter auf Schwedisch plappernd, den Abwasch erledigten.
    Wieder brach das Gespräch ab, als die Frauen sie bemerkten. Doch diesmal trocknete Greta ihre Hände ab und ging zur Feuerstelle. Aus einem großen gusseisernen Topf, der anscheinend mit warmem Wasser gefüllt war, hob sie eine Schüssel und stellte sie auf den Tisch.
    »Hier, ich hab dir was aufgehoben«, sagte sie. »Iss, bevor es ganz kalt wird.«
    Die Schüssel enthielt Grütze und ein großes Stück Hammelfleisch.
    Anneke war so überrascht, dass sie erst einige Momente später ein Dankeschön herausbrachte.
    Die Magd nickte und machte sich dann wieder an die Arbeit. Während Anneke das Mahl in sich hineinschlang, geschah das zweite Wunder. Die Mägde plapperten weiter! Zwar in ihrer Muttersprache, von der Anneke nichts verstand, aber offenbar misstrauten sie ihr nicht mehr. Ob das daran lag, dass Greta die Sache mit Frieda und ihren Freundinnen mitbekommen hatte?
    Anneke lächelte in sich hinein, während sie ihre Gedanken wieder zum Schiffsbauhof schweifen ließ.
    In ganz Stockholm konnte sie sich keinen interessanteren Ort vorstellen! Auch, wenn sie dort aufpassen musste, dass sie kein Kantholz oder eine Ladung Teer abbekam und sich vor manchen Schiffsbauern in Acht nehmen musste, erschien es ihr doch verlockend, erneut hinzugehen.
    Vielleicht schon morgen?
    Als sie mit dem Essen fertig war, spülte sie ihre Schüssel aus und verließ die Küche. Aus dem Salon vernahm sie Stimmen. Frieda unterhielt sich mit ihrer Tochter auf Deutsch über die Hochzeit.
    Anneke fragte sich, ob ihr Vater auch so gleichgültig reagiert hätte, wenn sie bis zum Abend weggeblieben wäre. Ihre Mutter hätte sich wahrscheinlich große Sorgen gemacht.
    Aber diese Frau war weder ihre Mutter noch ihr Vater. Ihr war es egal, was mit ihr geschah.
    Einen Moment lang spielte Anneke mit dem Gedanken, sich dennoch zurückzumelden. Doch sie wollte sich den Ausklang dieses Tages, der so schlimm begonnen und so versöhnlich geendet hatte, nicht verderben lassen. Sie huschte in ihre Kammer, entledigte sich des mittlerweile schmutzigen Kleides und legte sich im Nachthemd aufs Bett.
    Erneut fiel ihr auf, dass die Nächte hier heller waren als zu Hause. Bei Gelegenheit wollte sie nachfragen, warum das so war. Sie wusste auch schon wen: Als sie die Augen schloss, sah sie Ingmars Gesicht vor sich, und das brachte sie erneut zum

Weitere Kostenlose Bücher