Sturmsegel
Familie und den Bollerstrues wird sehr nützlich sein. Außerdem schätzt das gnädige Fräulein den Luxus und Hansens Sohn kann ihr sogar noch mehr bieten als ihre Mutter.«
Noch mehr?, fragte sich Anneke verwundert. Lebte dieser Bursche denn in einem Schloss?
»Anneke!«, tönte plötzlich eine Stimme aus der Hintertür. Es war Magdalena, die nach ihr rief. Diesmal trug sie ein hellgrünes Kleid und ihre Locken waren zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt. Schleifen und Edelsteine schmückten die Flechten.
»Was gibt es?«, fragte sie und wischte sich die nassen Hände ohne nachzudenken in ihrem Rock ab.
»Wir haben Besuch«, flötete Magdalena mit gespielter Freundlichkeit. »Mutter möchte dich ihren Freundinnen vorstellen.«
Auch das noch! Anneke wäre erleichtert gewesen, wenn sie nicht hereingerufen worden wäre. Aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig als zu folgen.
Magdalena maß sie mit einem abschätzigen Blick, als sie an ihr vorbeiging. Anneke bemerkte seltsame rote Flecken auf ihrem Gesicht. Hatte ihre Cousine einen Ausschlag bekommen?
Am liebsten hätte sie gefragt, woher das kam, aber darauf hätte sie wohl nur eine herablassende Antwort bekommen.
Die Besucherinnen hatten sich in den Salon des Hauses begeben. Stimmen waren zu vernehmen und der Duft von Gebäck und warmem Gewürzbier hing in der Luft. Davon hatte Magdalena also die roten Flecke auf dem Gesicht!
Bevor sie sich über die Erkenntnis amüsieren konnte, dass ihre Cousine, die bald heiraten würde, kein Bier vertrug, stand sie auch schon mitten im Salon.
Friedas Freundinnen waren nicht viel besser als sie. Nicht nur, dass sie die gleichen hochmütigen Mienen zogen. Sie waren auch übertrieben herausgeputzt, und obwohl Magdalena mit Anneke in ihre Runde zurückgekehrt war, taten sie zunächst so, als seien sie unsichtbar. Munter plapperten sie vor sich hin, lachten und tranken eine kräftig duftende braune Flüssigkeit aus kleinen Porzellantassen.
Als Anneke das Ignoriertwerden zu viel wurde und sie sich räusperte, verstummten die Frauen augenblicklich.
Friedas Lächeln erstarrte. Finster musterte sie Annekes Kleid. Die Wasserflecke auf dem Rock waren nicht zu übersehen.
Als sie sich dessen bewusst wurde, errötete Anneke. »Ich habe Greta beim Wäscheaufhängen geholfen«, erklärte sie, worauf die anderen Mädchen zu kichern begannen. Anseheinend kannten sie keine Hausarbeit. Auch Magdalena grinste hämisch. Sie hätte ihr natürlich sagen können, dass ihr Kleid fleckig war, aber das hatte sie nicht getan.
»So so, du hilfst einer Magd beim Wäscheaufhängen«, sagte Frieda Bollerstrue und Anneke konnte förmlich sehen, wie sich hinter ihrer Stirn eine Gemeinheit zusammenbraute.
»Nun, vielleicht sollte ich sie lieber als Dienstmagd anstellen, was meint ihr?«, fragte Frieda ihre Freundinnen und hob ihren Weinpokal an die Lippen. »So könnte sich das kleine Hurenkind wenigstens nützlich machen.«
Anneke hätte den Spott über die Wasserflecke noch klaglos ertragen können. Aber dass sie vor den anderen Hurenkind genannt wurde, war zu viel. Offenbar schlug Hinrich seiner Tante nach, denn in Friedas Gesicht meinte sie nun, sein hämisches Grinsen zu sehen.
Mühsam kämpfte sie gegen die Tränen an, ein Bestreben, das in dem Augenblick fehlschlug, als die Frauen und Mädchen laut auflachten. Ihr war nun klar, dass Frieda sie nur hatte rufen lassen, um sie zu demütigen.
Aber mehr wollte sie sich von diesen aufgeputzten Pfauen nicht bieten lassen. Während die Tränen über ihr Gesicht kullerten und sich nun auch Flecken auf ihrem Mieder bildeten, wirbelte sie herum und rannte aus dem Salon.
Das Lachen, das an das Gemecker von Ziegen erinnerte, verfolgte Anneke noch bis zur Haustür. Sie stürmte nach draußen, ohne so recht zu wissen, wo sie hinwollte, doch in diesem Augenblick war ihr das Ziel egal. Nur weg von diesen scheußlichen Weibern!
Die Leute auf der Straße blickten sie verwundert an, als sie an ihren vorbeistürmte. Gedanken, wie sie in das Haus Bollerstrue zurückfinden sollte, machte sie sich erst einmal nicht.
Ohne zu wissen, wie sie eigentlich dorthin gekommen war, erreichte Anneke schließlich den Schiffsbauhof. Der Duft frisch geschnittenen Holzes mischte sich mit dem Geruch von Teer und Ruß. Überall hämmerte, sägte und klopfte es, zwischendurch ertönten die Rufe der Arbeiter. Ein riesiger hölzerner Lastkran bewegte mächtige Balken.
Als sie sich die Tränen vom Gesicht gewischt hatte,
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