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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Lächeln.
    *
    Am nächsten Morgen, auf dem Weg zur Küche, traf Anneke auf ihre Tante. Sie hätte mit einem Donnerwetter gerechnet, doch das blieb aus. Hatte Frieda gar nicht mitbekommen, dass sie gestern so lange fortgeblieben war?
    Hoch erhobenen Hauptes rauschte die Tante an Anneke vorbei, diesmal war es ihr sogar egal, welches Kleid sie trug. Sie schien sie seit dem vergangenen Nachmittag aus dem Gedächtnis gestrichen zu haben. Getreu dem Motto: Was ich nicht sehe, kann mir kein Dorn im Auge sein.
    Während Anneke ihr hinterhersah, kam ihr in den Sinn, dass diese Art von Unsichtbarkeit seine Vorteile hatte. Wenn keiner Wert auf ihre Anwesenheit legte, konnte sie tun und lassen, was sie wollte.
    An diesem Nachmittag lief sie erneut zum Schiffsbauhof.
    Sie fand rasch heraus, wo Ingmar sich aufhielt. Er arbeitete mit seinem Vater bei den Zimmerleuten, die für den Rumpf des neuen Schiffes zuständig waren. Eine Weile schlich sie auf dem Werfthof herum, in der Hoffnung, dass er sie sehen und erneut ansprechen würde.
    Lange musste sie nicht warten.
    »Möchtest du hier eine Anstellung oder kommst du wegen mir?«, fragte er, mit einem fast schon unverschämten Lächeln auf dem Gesicht.
    »Dürfen Frauen denn hier arbeiten?« Anneke zog herausfordernd die Augenbrauen hoch.
    »Nein, natürlich nicht. Ab und an taucht höchstens eine Ehefrau oder Tochter auf, die ihren Angehörigen etwas zu essen und zu trinken bringt.«
    »Und warum dürfen Frauen hier nicht arbeiten?«, fragte Anneke und blickte auf ihren Rocksaum, denn die Art, wie er sie ansah, ließ sie erröten.
    »Weil die Arbeit sehr schwer und anstrengend ist«, antwortete Ingmar. »Und sie ist auch gefährlich. Besser, ein Mann erledigt sie.«
    Anneke wollte nun wissen, was das für Arbeiten seien, und Ingmar erklärte es ihr geduldig.
    Aus den Stämmen, die sich die Schiffsbauer aussuchten, wurden die einzelnen Teile für das Schiff geschnitten. Aus den geraden Stämmen wurden Planken und Balken geschnitten, aus den Astgabeln je nach Wuchs Winkel, Knie, Spanten und Schanzhölzer. Dabei mussten sich die Schiffsbauer die Bäume genau ansehen und planen, welchen Teil sie wofür im Schiff verwenden wollten. Nach dem Zuschneiden wurden die Planken über Feuer und Dampf gebogen und verbaut.
    Außerdem wurden Segel genäht und geteert, Seile und Taue gedreht und zu Wanten und Trossen verarbeitet. Für die Schiffe fertigte man spezielle Nägel an, die im salzigen Meerwasser nicht rosteten und das Schiff womöglich dem Untergang preisgaben.
    »Ingmar!«, ertönte nach einer Weile wieder der Ruf der Männerstimme. Diesmal entdeckte Anneke auch die zugehörige Person. Der Mann war etwa so alt wie ihr eigener Vater, hatte aber schon wesentlich mehr Silber in seinem Haar und seinem Bart.
    Er musterte seinen Sohn und das Mädchen und für einen kurzen Moment huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Dann wurde seine Miene aber wieder streng.
    »Ich muss leider wieder arbeiten«, sagte Ingmar bedauernd. »Beim nächsten Mal zeige ich dir die Werft. Du kommst doch wieder, oder?«
    Anneke nickte begeistert und verabschiedete sich dann von ihm. Als sie ihm nachsah, war es, als würden in ihrer Brust Tausende Schmetterlinge ihre Flügel ausbreiten.
    Ingmars Vater sah sich noch einmal nach ihr um, wahrscheinlich würde er seinen Sohn gleich fragen, wer sie war. Aber das störte sie ebenso wenig wie die Tatsache, dass der Mann gewiss ihr schwärmerisches Lächeln bemerkte. Es war doch kein Verbrechen, jemanden zu mögen, oder?
    Nachdem Vater und Sohn verschwunden waren, kehrte sie wieder zum Tor zurück. Wieder fiel ihr Blick auf die Vasa.
    Die Arbeiten waren erneut ein gutes Stück vorangekommen. Die beiden Frauenfiguren an der Galerie, die laut Ingmar Töchter des Meeresgottes Nereus waren, hatten einen goldenen Überzug bekommen und wetteiferten im Sonnenschein mit dem Glanz der drei Kronen am Königsschloss.
    Plötzlich fragte sich Anneke, wie wohl der Rest der Stadt aussah. Bisher war sie nur im Haus, am Hafen und auf dem Schiffsbauhof gewesen.
    Da Fragen nur beantwortet werden können, wenn man ihnen auf den Grund geht, bog sie kurzerhand in die nächstbeste Straße ein. Ihre Füße trugen sie in Ecken, in denen sich schwarz gekleidete Männer über scheinbar gewichtige Dinge unterhielten. Sie eilte an Frauen vorbei, die mit schweren Körben unter dem Arm versuchten, trockenen Fußes über die mit Unrat bedeckten Wege zu gelangen. Schließlich musste sie Schweinen und Hunden

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