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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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sie leise in die Nacht.
    *
    Die Arbeit im Wirtshaus war nicht einfach. Nach langen Tagen voller Schrubben, Wischen, Fegen und in der Küche helfen schmerzten Annekes Fußsohlen, als würde jemand mit tausend Nadeln darauf einstechen. Auch ihr Rücken fühlte sich gezerrt an, als hätte sie sich zu weit nach einem schweren Gegenstand gereckt. Aber sie ertrug das alles und der Lohn dafür war, dass sie zwischendurch auch mal ein paar freundliche Worte von Gitta oder dem Wirt bekam.
    Die Geräusche, die sie in der zweiten Nacht im Wirtshaus vernommen hatte, wiederholten sich alle paar Tage. Immer dann schlief Anneke nur schwer ein und am Morgen brachte sie es nicht über sich, Gitta ins Gesicht zu sehen. Sie fühlte sich wie jemand, der an der Tür gelauscht und ein Geheimnis mitangehört hatte.
    »Hast wohl die ganze Nacht von einem Prinzen geträumt«, neckte Gitta sie, wenn sie ihre Müdigkeit bemerkte, und der Einfachheit halber nickte Anneke. Wenn sie dabei aber zu Tjorven hinüberblickte, bemerkte sie einen seltsamen Ausdruck in seinen Augen. Wusste auch er von Magnus' nächtlichen Spaziergängen? Wusste Inga davon und schwieg dazu, weil sie sich darüber im Klaren war, dass Magnus sie nur aus Pflichtgefühl geheiratet hatte?
    Neben der Schufterei brachte ihr Gitta Schwedisch bei, jedenfalls so viele Worte, wie sie brauchte, um sich mit den Gästen und auch mit Tjorven und Inga zu verständigen. Nach und nach schnappte sie bei der Arbeit selbst Worte auf und ließ sie sich von der Magd übersetzen. Nach einer Weile sprach sie schon recht passabel, wenngleich man ihr deutlich anhören konnte, dass sie nicht aus Schweden stammte.
    Bei der Arbeit in der Schankstube ging der Stiefsohn des Wirtes ihr manchmal zur Hand, doch ein besonders guter Gesprächspartner war er nicht.
    Wie sie schon bald herausgefunden hatte, war Tjorven stumm. Er konnte zwar hören, hatte aber, wenn man Gitta glauben konnte, niemals mit dem Sprechen angefangen. Er verständigte sich mit einer besonderen Zeichensprache, doch bis auf ein paar Gesten verstand Anneke sie noch nicht.
    Tjorven ›redete‹ allerdings nur selten mit ihr.
    Er gehorchte seinem Vater, wenn es um die Arbeit ging, doch bei allem anderen blieb er lieber für sich, wodurch Leute, die ihn nicht kannten, glaubten, er sei zurückgeblieben.
    Anneke erkannte jedoch, dass seine Augen wach waren und er begierig alle neuen Eindrücke um sich herum aufsaugte. In Stralsund hatte es auch Narren gegeben, aber so hatten sie nicht geblickt. Hinter Tjorvens Schweigen verbarg sich ein scharfer Verstand, vielleicht mehr noch, als Magnus und die anderen hatten.
    Auch über Tjorvens Mutter erfuhr Anneke nun etwas mehr. Der Spielmann hatte recht gehabt.
    Inga hatte die Taverne von ihrem Vater geerbt und eigentlich zusammen mit ihrem Mann geführt. Doch er war im Krieg umgekommen und hatte die Verantwortung für sie und seinen Sohn in die Hände seines Waffenbruders Magnus gelegt. Magnus hatte sie nach seiner Rückkehr geheiratet und damit gesichert, dass niemand die Hände nach ihrer Schenke ausstreckte.
    Ob Inga damit glücklich war, wusste Anneke nicht, sie hatte sie in den vergangenen Tagen nur ein paar Mal zu Gesicht bekommen.
    Gitta hingegen war, wie es der Spielmann gesagt hatte, tatsächlich die heimliche Herrin des Hauses und ließ jedermann ihre Überlegenheit spüren. Als Anneke einmal eine Holzschale dicht neben ihr fallen ließ, versetzte sie ihr einen Schlag an den Hinterkopf.
    Nur bei Tjorven hielt sie sich zurück. Was zunächst wie Gleichgültigkeit ausgesehen hatte, entpuppte sich als Angst.
    Der schweigende Junge war Gitta nicht geheuer. Sie duldete ihn in der Küche, tat aber so, als sei er nicht da. Wenn sie sicher war, dass er es nicht bemerkte, starrte sie ihn an wie den Teufel persönlich.
    Anneke fragte sich, warum sie Magnus nicht überredete, ihn fortzuschicken. Immerhin war er alt genug, um ein Handwerk zu erlernen. Auch wenn er stumm war, konnte er einem Schreiner zur Hand gehen oder bei den Schiffsbauern anheuern.
    Doch Magnus ließ ihn im Haus. Man konnte meinen, dass er es seiner Frau zu Gefallen tat, doch Anneke wurde das Gefühl nicht los, dass ihn das schlechte Gewissen plagte. Und dass er den Jungen ebenfalls fürchtete, auch wenn er ihm körperlich weit überlegen war.
    An einem Nachmittag, kurz bevor die ersten Gäste kamen, war Anneke wieder dabei, die Tische zu schrubben. Tjorven half diesmal nicht, sein Stiefvater hatte ihn nach draußen zum Holzhacken

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