Sturmsegel
dulden würde, wenn ich …«
Gittas Hand, die sich sanft auf ihre Schulter legte, unterbrach Anneke.
»Schon gut, ich rede mit ihm.« Sie lächelte sie vielsagend an. »Du solltest dir überlegen, was du tragen wirst.«
Anneke erwiderte das Lächeln nun. »Ich habe nur ein Kleid, also werde ich mir darüber wohl keine großen Gedanken machen müssen. Hab vielen Dank.«
Vor dem Kirchgang wurde Anneke schrecklich unruhig. Tausende Ameisen schienen über ihren Körper zu huschen. Das letzte Mal hatte sie dieses Gefühl gehabt, als sie nahe Stralsund in einen Ameisenhaufen gefallen war. Doch jetzt war keines der kleinen Tiere auf ihr. Ihr Herz war es, das dieses Kribbeln verursachte.
Die Sache mit Magnus war geklärt, es hatte Gitta nicht viele Worte gekostet, um ihn zu überzeugen. Aber die Nervosität wurde immer schlimmer.
Zum ersten Mal allein mit Ingmar außerhalb des Schiffsbauhofs. Zum ersten Mal bei ihm zu Hause.
Was, wenn mich seine Eltern nicht mögen, ging es ihr durch den Kopf. Und was, wenn sie mich für seine Braut halten? So gut kennen wir uns doch noch gar nicht …
Anneke bürstete das Kleid, das sie noch von Frieda hatte und das inzwischen gewaschen war, ein paar Mal aus und suchte es nach Fusseln ab. Auf einmal war sie froh, dass sie es beim Arbeiten nicht tragen musste, denn so sah sie für den Kirchgang und auch den Besuch bei den Svenssons halbwegs passabel aus.
Der Gottesdienst fand in der Storkyrkan, dem Stockholmer Dom, statt, dessen Geläut weit in der Stadt zu vernehmen war. Der Wirt nahm zusammen mit seiner Ehefrau, Gitta, Anneke und Tjorven auf einer der hinteren Bänke Platz. Die vorderen Reihen waren für die angesehenen Bürger und Adligen gedacht.
Von der Predigt, die auf Schwedisch gehalten wurde, verstand Anneke nicht viel, aber darauf kam es auch nicht an. Während der Pastor sprach, dachte sie zurück an Stralsund und fragte sich, ob Marte auch gerade in einer Kirche betete. Und ob es überhaupt noch intakte Kirchen in Stralsund gab.
Als das abschließende Gebet gesprochen war, verließen sie die Kirche wieder und Anneke fragte sich, ob sie im Gewühl vielleicht Ingmar sehen würde. Es gab mehrere Kirchen in Stockholm und es war nicht sicher, dass die Svenssons auch die Storkyrkan aufsuchten. Sie konnten in einem ganz anderen Teil der Stadt wohnen, aber ein bisschen hoffte Anneke schon, dass sie ihn sehen würde.
Eine Hoffnung, die allerdings enttäuscht wurde.
»Komm jetzt«, mahnte Gitta sie schließlich. Magnus, Inga und Tjorven waren schon ein gutes Stück voraus.
Nach ihrer Rückkehr stand sie in der Küche, zupfte an den Bändern ihres Mieders und blickte unruhig aus dem Fenster.
Der Geruch der Mittagsmahlzeit, die diesmal aus einer Lammkeule bestanden hatte, hing noch immer im Raum und Anneke hatte das Gefühl, dass ihr gesamter Körper und ihr Haar damit gesättigt waren.
Hoffentlich stört sich Ingmar nicht daran, ging es ihr durch den Kopf, und obwohl sie dergleichen nie besessen hatte, wünschte sie sich nun doch etwas Rosenwasser, mit dem sie den Geruch übertönen könnte.
Draußen zogen die Leute vorbei, ohne das Gesicht hinter dem Küchenfenster auch nur eines Blickes zu würdigen.
Die meisten von ihnen nutzten das schöne Wetter, um ein wenig am Hafen spazieren zu gehen. Einige Männer, von denen sie glaubte, dass es Seeleute waren, zogen mit mindestens einem Mädchen an jedem Arm durch die Straßen. Dahinter glitzerte das Meer und Möwen kreisten über den Dächern. Schließlich tauchte Ingmar vor der Schenke auf. Er trug Sonntagskleider und wirkte in seinem dunklen Wams mit dem breiten weißen Kragen und dem halblangen dunkelblauen Mantel fast wie ein Edelmann auf Reisen.
»Ist er das?«, fragte Gitta, während sie den Hals reckte. Nach dem Lächeln zu urteilen, das über ihr Gesicht huschte, gefiel ihr der junge Bursche.
Anneke wurde rot. »Ja, das ist er.«
»Ist er dein Liebster?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du weißt es nicht? Hast du ihn gern oder nicht?«
»Doch schon, aber …«
»Wenn du einen Mann gern hast, gibt es kein Aber«, entgegnete Gitta. »Du solltest ihn aber nicht so lange zappeln lassen.«
Anneke nahm den Ratschlag mit einem Nicken hin und fragte sich, wie lange Gitta wohl Magnus hatte zappeln lassen.
Aber eigentlich wollte sie darauf gar keine Antwort haben. Sie verabschiedete sich von der Magd, und nachdem sie sich das Kleid glatt gestrichen hatte, verließ sie die Schenke.
Ingmar wirbelte herum und wurde rot bis
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