Sturmsegel
geschickt. Die Geräusche, die die Axt machte, wenn sie ins Holz sank, gaben den Takt für Annekes Arbeit vor. Lächelnd folgte sie ihm und es fiel ihr nun auch ein wenig leichter, andere Dinge als Essenreste oder Bierringe wegzuwischen. Manche Gäste übergaben sich am Tisch, andere spuckten darauf oder wischten Rotz und Dreck daran ab.
Als sie das zum ersten Mal bemerkte, war ihr doch ein wenig übel geworden, mittlerweile machte sie die Augen zu und wischte einfach drüber. In der braunen Brühe, die im Eimer schwappte, fiel das alles gar nicht mehr auf.
»Was machst du denn hier?«, fragte plötzlich jemand.
Da sie die Tür aufgelassen hatte, konnte die Person eintreten, ohne dass sie sie bemerkt hatte.
Der Klang der Stimme ließ sie sofort innehalten. War es möglich?
Als sie aufsah, blickte sie tatsächlich in das Gesicht von Ingmar Svensson.
»Ingmar!«, rief sie fassungslos und vergaß vor lauter Freude, den Lappen in den Eimer zurückzutun, sodass sie ihren Rock nass machte.
Etwas verlegen warf sie den schmutzigen Fetzen von sich und wischte die Hände in ihrer Schürze ab.
»Ich dachte, du wohnst bei deiner Tante?«, wunderte sich der junge Schiffbauer.
Anneke schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr. Ich bin ihr weggelaufen.«
»Und warum?«, fragte Ingmar, dann fiel sein Blick auf ihren Hals. Der Striemen war verschorft, aber immer noch deutlich zu sehen.
»Sie hat dich geprügelt«, gab er sich selbst die Antwort, bevor sie es tun konnte.
Anneke nickte. »Ja, und da wollte ich nicht mehr bei ihr sein.«
»Wird sie sich denn keine Sorgen um dich machen?«
»Bestimmt nicht! Sie wird froh sein, dass ich weg bin.« Jetzt setzte sie wieder ein Lächeln auf. »Erzähl doch, wie ist es dir ergangen? Du wirst doch wohl nicht wieder den Holzstapel zum Rollen gebracht haben?«
»Nein, das habe ich nicht«, entgegnete Ingmar lachend.
»Ist dein Vater denn immer noch böse deswegen?«
»Nein, ich denke nicht. Jedenfalls hat er den Vorfall nicht mehr erwähnt. Aber du warst auch seit einigen Tagen nicht mehr beim Schiffsbauhof. Ich habe mich schon gefragt, ob du krank seist.«
Er hatte sich also tatsächlich Sorgen um sie gemacht! Annekes Herz begann freudig zu pochen.
»Hej, junger Svensson, was führt dich hierher!«, ertönte hinter ihnen die Stimme des Wirts. Ingmar warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, dann wandte er sich Magnus zu.
Er sprach jetzt schwedisch mit dem Wirt, doch Anneke verstand immerhin so viel, dass er Bier für seinen Vater und etwas Buttermilch wollte.
»Buttermilch?«, fragte der Wirt lachend und setzte etwas hinzu, das sie bis auf das Wort ›Humpen‹ nicht verstand. Offenbar war Magnus der Meinung, dass er lieber Bier oder Wein trinken sollte.
»Die Milch ist für meine Mutter«, entgegnete Ingmar. »Sie erwartet ein Kind.«
Auch das verstand sie, allerdings nicht das Nachfolgende. Der Wirt fand seine eigene Bemerkung jedoch lustig und verzog sich lachend nach hinten.
Ingmar wandte sich jetzt wieder ihr zu.
»Deine Mutter bekommt also ein Kind«, sagte sie, worauf der Junge tadelnd den Kopf schüttelte.
»Seid wann verstehst du so viel Schwedisch?«
»Ich habe verstanden, dass du Buttermilch willst. Und dass deine Mutter ein Kind bekommt. So viel hat mir Gitta schon beigebracht. Aber was Magnus sonst zu dir gesagt, ist mir ein Rätsel.«
»Es war auch nicht so wichtig.«
»Wie weit ist deine Mutter denn?«, erkundigte sie sich und erst hinterher fiel ihr auf, dass sie das eigentlich nichts anging.
Ingmar schien das aber nichts auszumachen.
»Es dauert nicht mehr lange, bis sie niederkommt«, erklärte er lächelnd. »Aus irgendeinem Grund ist sie neuerdings ganz verrückt nach der Buttermilch aus der Schenke. Mein Vater meint, dass sie solche Gelüste nicht gehabt hat, als sie mit mir schwanger war. Von daher schlussfolgert er, dass es ein Mädchen werden könnte.«
»Weil Mädchen gern Milch trinken?« Anneke konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. So eine Schlussfolgerung war doch albern!
»Nein, weil Mädchen Sonderwünsche haben.«
»Das meint dein Vater nicht im Ernst!«
»Doch, das tut er. Aber er freut sich darauf, ein Mädchen zu bekommen. Er hat sogar schon eine Vorstellung davon, wie er meine Schwester verheiraten kann. Einige Männer auf der Werft haben vor Kurzem Söhne bekommen. So würde das Handwerk auch in weiblicher Linie in der Familie bleiben.«
»Ich glaube aber kaum, dass es deiner Schwester gefallen würde, mit einem Burschen
Weitere Kostenlose Bücher