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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Sprache.
    Glücklicherweise rief Gitta nun wieder nach ihr, doch ihre Stimme konnte das Gehörte nicht auslöschen. Anneke wagte den ganzen Abend über nicht, die Magd oder Magnus anzuschauen. Menschen, die eine Mutter und ihren stummen Sohn anzeigten, obwohl sie unschuldig waren, konnten noch auf ganz andere Grausamkeiten kommen.
    *
    In der Nacht erwachte Anneke plötzlich, als ihr jemand sanft über die Wangen streichelte. Erschrocken riss sie die Augen auf. Hatte sich Magnus etwa in ihre Kammer verirrt?
    Als sie etwas mehr zur Besinnung gekommen war, blickte sie  in das bleiche Gesicht von Magnus Stiefsohn. Der blaue Fleck unter seinem Auge wirkte im Zwielicht wie ein Loch.
    »Tjorven, was suchst du denn hier?«, fragte sie, während sie versuchte, die Müdigkeit abzuschütteln. Wenn sie verstehen wollte, was er ihr mitteilte, musste sie die Augen weit offen halten.
    Seine Handzeichen waren zunächst wirr und hektisch, sodass sie nichts verstand.
    Tjorven wiederholte es noch mal langsam und deutete dann auf das kleine Schiffchen, das sie neben den Bettkasten gestellt hatte. Seine Lippen formten das Wort VASA.
    »Du willst auf die Vasa?«
    Jetzt fiel sämtliche Müdigkeit von ihr ab. Als sie ihm davon erzählt hatte, hätte sie nie geglaubt, dass er wirklich von hier fortgehen würde.
    Tjorven nickte eifrig.
    »Aber wenn Magnus das erfährt!«
    Der Junge winkte ab. Offenbar war es ihm gleichgültig, was er dachte. Wenn nach all den vorangegangenen Beschimpfungen auch nur ein winziger Funke Zuneigung für seinen Stiefvater in ihm zurückgeblieben war, war dieser bei dem Sturz von der Treppe endgültig erloschen.
    »Und deine Mutter?«
    Das war ihm schon nicht mehr einerlei. Seine Hände zitterten ein wenig, als er ihr mit Gesten zu erklären versuchte, dass es seiner Mutter hier besser gehen würde, wenn er nicht mehr da war.
    Anneke erinnerte sich an das Geschwätz des Spielmanns.
    Doch konnte sie ihm das einfach so sagen? Immerhin konnte das alles nur ein Gerücht sein. Außerdem war niemand aufgetaucht, der seine Mutter abholen wollte.
    Und wenn die Hexenjäger kamen, würde er ohnehin nichts gegen sie ausrichten können …
    »Das glaubst du doch selbst nicht!«, entgegnete Anneke trotzdem. »Magnus wird deine Mutter nicht besser behandeln. Wenn du da bist, kannst du sie immerhin beschützen!«
    Tjorven deutete auf die Beule und die Platzwunde, die der Sturz auf seinem Gesicht hinterlassen hatte.
    Anneke wusste, was das heißen sollte: So gut konnte ich sie beschützen! Er hat mich einfach die Treppe runtergeworfen wie ein Bündel Lumpen.
    Aber sie wollte noch nicht aufgeben, ihn zur Vernunft zu bringen.
    »Aber sie wird sich Sorgen um dich machen!«, fuhr sie fort.
    Auf diese Worte seufzte er nur und ließ die Schultern hängen. Sein Entschluss stand fest. Er wollte weg von hier, wollte ein großer Kapitän werden und dann seine Mutter aus der Schenke fortholen. Und er wollte sie mitnehmen.
    Sanft griff er nach ihrer Hand und versuchte, sie mitzuziehen.
    »Ich soll mitkommen?«
    Tjorven nickte mit leuchtenden Augen.
    Doch Anneke schüttelte den Kopf und entzog sich ihm. Sie wollte nicht auf die Vasa und sie wollte auch nicht mit Tjorven gehen. Wenn es in diesen wirren Zeiten überhaupt einen Platz für sie gab, war er bei Ingmar.
    »Ich kann nicht auf das Schiff«, versuchte sie, sich herauszureden. »Da sind keine Frauen erlaubt.«
    Der Junge bedeutete ihr daraufhin, dass sie sich unter Deck verstecken könne.
    Anneke fühlte sich ein wenig heuchlerisch, denn auf dem Weg hierher hatte sie sich ja auch als Junge verkleidet.
    Doch sie schüttelte erneut den Kopf. »Es geht nicht. Und du bleib auch hier. Such dir Arbeit auf der Werft. Dann verdienst du dein eigenes Geld.«
    Doch Tjorvens Entschluss war gefallen. Er sah sie einen Moment lang traurig an, dann erhob er sich.
    »Tjorven, geh nicht«, flüsterte sie ihm hinterher. Aber er wandte sich nicht einmal mehr um, sondern schloss die Tür hinter sich.
    Anneke starrte in die Dunkelheit. Wenig später hörte sie, wie unten die Tür ging.
    Sie hätte nun Gitta aus dem Schlaf reißen oder Inga Bescheid geben können. Aber etwas hinderte sie daran.
    Wenn nicht in dieser Nacht, so würde Tjorven in einer anderen flüchten. Und wenn nicht auf der prächtige Vasa, würde er auf einem anderen Schiff anheuern.
    Jemandem, der unbedingt fortwollte, würde die Flucht auch gelingen. Das wusste sie nur allzu gut. Immerhin war auch sie vor Friedas Gerte geflohen und niemand

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