Sturmsommer
kennt; die mögen sich. Schnäuzeln öfter miteinander. Wobei Damos das eindeutig hübschere Pferd ist.
Papa raschelt mit der Zeitung. »Jetzt waren sie in der Siegburgstraße.«
»Wirklich?« Mama macht große Augen. Die Siegburgstraße ist bei uns um die Ecke; feine Gegend eben.
»Wer >die«, frage ich.
»Einbrecher. Sind wohl zurzeit hier unterwegs.« Das klingt wie im Film. Einbrecher. Als Kind war ich fest davon überzeugt, dass es so was in Wirklichkeit nicht gibt. Dass die Erwachsenen das nur erfinden. An Hexen und Zwerge glaubte ich ein bisschen; ich war mir zumindest nicht sicher, dass es sie nicht gibt. Aber Diebe und Mörder? Niemals! Als Mama mir eines Abends ernst sagte, dass es wirklich Diebe und Mörder gibt, habe ich schlagartig ein ganz seltsames Gefühl bekommen. Ich weiß es noch wie heute, obwohl ich so klein war.
Aber etwas von früher hat sich gehalten. Ich glaube einfach nicht, dass es uns treffen könnte. Papa murmelt irgendwas von Armut und ungerechter Verteilung und dass so etwas eigentlich nicht nötig sein sollte, Stehlen und Klauen und Rauben, und reicht Mama die Zeitung. Sie überfliegt sie nur flüchtig.
»Zum Glück haben wir Henri«, seufzt sie zufrieden und wirft einen Blick auf das Körbchen im Flur, wo Henri sich so eingekuschelt hat, dass man nicht einmal seine Ohren sieht. Ich will Mama ja nicht ihre Hoffnungen nehmen, aber ich glaube kaum, dass Henri Einbrecher in die Flucht jagen kann. Er ist zwar groß, aber er hat manchmal sogar vor seinem eigenen Quietscheentchen höllische Angst.
Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob Henri besonders klug oder besonders doof ist. Wenn ich mit ihm Gassi gehe, hält er sich jedes Mal stundenlang an ein-und derselben Ecke auf. Dummerweise ist das eine Ecke vom Vorgarten unseres Nachbarn, und ich fürchte, dieser Vorgarten wird irgendwann ziemlich streng zu riechen beginnen. Aber Henri ist da nicht wegzukriegen, egal, wie sehr wir locken und an der Leine ziehen. Er macht ein stur-doofes Gesicht und lehnt sich an den Zaun.
Mama und ich scheinen eine besondere Anziehungskraft auf ihn zu haben, er verfolgt uns auf Schritt und Tritt, und mit mir geht er sogar aufs Klo. Lasse ich ihn draußen, scharrt er beharrlich an der Tür, und dann hab ich da drinnen auch nicht mehr meine Ruhe weg. Vielleicht hat er Angst, ich könnte plötzlich ebenfalls auswandern.
Jetzt seufzt er, dreht sich und zeigt uns seinen Bauch. Ich weiß aber, was Mama meinte, als sie damals sagte, dass Henri kein Schmusetier sei. Ein Hund ist anstrengend. Damos habe ich einmal am Tag zu versorgen, und dann bleibt er im Stall und ich gehe nach Hause. Aber Henri folgt mir sogar ins Badezimmer.
Ich habe trotzdem eher den Verdacht, Papas Bemerkungen über diese Einbrecher-Sache sollen mich wieder einmal daran erinnern, wie gut wir es doch haben und andere nicht. Er redet oft von Dankbarkeit. Es ist ihm wichtig, dass wir dankbar sind. Da fühlt man sich fast wie in der Kirche. Als dürfte man nicht mehr laut lachen oder sich freuen. Aber für Dankesreden und so habe ich jetzt keinen Nerv. Ich hab andere Sorgen.
»Hi Tom.« Nein, nicht Tanja. Aber doch. Sie meint mich. Kein anderer Tom in der Nähe. Ich hab sie nicht rechtzeitig bemerkt, weil ich mit meinem Spind beschäftigt war. Der Schlüssel hat geklemmt. Und jetzt steh ich da und sie neben mir. Ich seufze nur auf und drehe den Kopf weg. Wie sooft in den vergangenen Tagen. Ein paar Klassenkameraden blicken erstaunt zu uns rüber. Wusste ich es doch. Ich mach mich mit der lächerlich. Sie soll verschwinden.
»Ich geh heute Mittag zu Meteor in den Stall. Ich muss ausmisten, aber später mach ich einen Ausritt - und - vielleicht hast du Lust mitzukommen?«
Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Nach alldem.
»Entschuldige, aber dafür bin ich mir zu schade.«
Einen Moment lang sagt sie gar nichts. Hat nur den Mund ein Stück offen stehen und bekommt eine blasse Nase.
»Zu schade«, wiederholt sie leise.
»Genau. Ich-will-nicht. Alleine: ja. Mit dir: nein. Kapiert?«
Jetzt ist sie richtig weiß im Gesicht. Kalkweiß.
»Du bist ein arrogantes Bonzen-Arschloch, Thomas Birkmeier«, faucht sie mich an.
Mein Gott, was hat das denn jetzt damit zu tun? Das war mir zu viel. Arschloch darf die mich nicht nennen. Nein, das IST einfach zu viel. Aber ehe ich das begreife, spüre ich einen stechenden Schmerz im Schienbein. Sie hat mich getreten.
Ich stehe hier und lasse mich von Tanja treten. Und wie. Es tut richtig weh.
»Jetzt
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