Sturmsommer
wüsste einfach nicht, wo ich mich verkriechen könnte und trotzdem Damos weiterhin reiten. Ich sitze wirklich in der Zwickmühle.
»Guten Morgen!« Frau Schilfer kommt reingerauscht, in ihrem gefürchteten grünen Kleid, giftgrün, wirklich. Aber sie ist ein hübscher Laubfrosch.
»Guten Morgen«, grüßen wir gelangweilt zurück. Ich höre dieses »Guten Morgen« schon gar nicht mehr, das ich da immer vor mich hin murmle.
»Na, Tom, wieder auskuriert?«
»Ja, sonst wäre ich ja nicht hier.«
»Und frech bist du auch - scheint ja alles in Ordnung zu sein.« Hat die ‘ne Ahnung.
»Ach ja, Toni, gibst du Tom bitte nach der Stunde dein Heft, damit er alles Fehlende nachtragen kann?«
»Ja, okay.«
Wie gebannt starre ich auf Tanja, die vor mir sitzt und auf einmal ihren Rücken strafft. Die soll jetzt bloß nichts sagen, von wegen Nachhilfe und so, das braucht keiner zu wissen. Wenn ich nur ihr Gesicht sehen könnte. Aber ich sehe bloß Massen von Haaren und ihre »Ich melde mich gleich, denn ich weiß alles«-Haltung. O doch, sie will.
»Das… aua!«
Toni prustet los, auch die anderen müssen grinsen. Sie dreht sich kurz um, aber ich blättere mit gesenkten Augen in Tonis Heft.
Frau Schilfer fragt irritiert: »Ja, Tanja?«
»Ehm - ich, ich wollte sagen, dass… aua!«
Diesmal dreht sie sich nicht um. »Tanja, versuchen wir’s lieber mit Kopfrechnen, ich glaube, das liegt dir eher.« Frau Schilfer lächelt freundlich. Klar, sie konnte nicht sehen, dass ich Tanja zwei Mal in den Rücken getreten habe, damit sie nichts sagt. Aber Toni hat es gesehen, und ich spüre, wie er mich anstarrt. »Glotz nicht so«, murmle ich. »Hmpf«, macht er und zwickt mich in die Seite. Er starrt weiter, aber ich drehe mich weg. Eingeschnappt zieht er mir sein Heft aus den Fingern.
Klar versteht er nicht, was hier los war. Ich weiß, man soll andere nicht treten und so, aber Mama hat wohl phänomenal falsch gelegen, als sie dachte, Tanja sagt nichts. Vor der ganzen Klasse hätte sie es ausposaunt. Es reicht schon, dass die alle meine Narbe beäugen.
Jetzt werde ich in der Pause bestimmt mit Fragen bombardiert. Aber außer Toni sage ich niemandem etwas, das steht fest. Das wäre eine Blamage, wenn die erfahren würden, dass ich ausgerechnet bei Tanja Nachhilfe habe. Das auch noch als Klassensprecher.
Pause. Mir schwirrt der Kopf vor lauter Formeln, die ich nicht verstanden habe. Es hat zu regnen aufgehört, aber alles ist noch nass. Ich hole mir beim Hausmeister im Kakaobunker eine Limo und gehe zu den anderen.
»He Tom, was war denn das für eine Aktion?«
»Warum hast du Tanja getreten?«
»Die war ja rot wie eine Tomate.«
»Jetzt sag schon!«
Ich hab’s gewusst. »Muss das sein?«
»Och bitte …«
»Das ist eigentlich ‘ne Privatsache«, sage ich zögerlich und beiße mir auf die Zunge. Privatsache. Oje. Wie das klingt.
Anja steht dicht bei Marc. Sehr dicht. »Mädchen tritt man nicht«, sagt sie streng und kneift mich ins Ohr. Ich ziehe es unwillig weg.
»Du entschuldigst dich doch bei ihr, oder?«, fragt Marc.
»Nö«, brumme ich. »Die weiß genau, warum ich das gemacht habe.«
Dann schweige ich stur, und weil es plötzlich so still ist und Marc mich viel zu direkt und fragend anschaut, wechselt Anja das Thema. Die weiß genau, wann ich reden will und wann nicht. Und wann sie keine Chance hat, dagegen anzusteuern. Noch mal davongekommen.
Toni macht mir ein Zeichen. Okay. Ohne ein Wort zu sagen, wenden wir uns von Anja und Marc ab und laufen zum Fahrradschuppen. In dem Verschlag neben den Rädern haben wir uns zwei kaputte Schulstühle hingestellt. Das ist unser Eck. Hat nicht mal der Hausmeister gefunden. Oder er weiß es und duldet die Sache. Meistens sind Toni und ich hier, wenn wir etwas Wichtiges zu besprechen haben oder keine Lust auf Menschen. Das passiert. Toni ist ein Hysteriker, wie seine Mutter immer im Spaß sagt, zarte Nerven, und ich will manchmal nicht reden. Nicht einmal mit Toni. Da ist unsere Ecke das Richtige. Wir sitzen da und sagen 15 Minuten nichts und es stört niemanden. Mit Toni kann ich das.
Aber jetzt muss geredet werden, ich weiß es. In der Ecke kauert wieder eine dieser dicken Spinnen, die die Mädchen vom Fahrradschuppen abhalten. Ich nehme Anlauf und zerquetsche sie mit meiner Schuhsohle.
Toni und ich setzen uns auf unsere Stühlchen und legen die Beine auf die alte rostige Schubkarre, in der wir immer einen Vorrat an Knabberzeugs bunkern. Manche Jungs hätten da wohl
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