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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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reicht’s mir, so nicht!« Ich trete zurück und dann geht alles auf einmal ganz schnell. Ich weiß, dass es albern ist. Ich weiß, dass ich dafür zu alt bin. Aber ehe ich nachdenken kann, hab ich sie in der Mangel. Toni zupft mich von hinten am Ärmel, doch ich stoße ihn weg. Ich hab genug mit Tanja zu tun. Sie flucht wie ein Berserker, beißt und kratzt und irgendwie denke ich nur noch, dass ich mich nicht blamieren will, bloß nicht blamieren - oder ist es schon zu spät?
    Ich überlege zu lange, während ich sie in den Schwitzkasten nehme. Sie kriegt ihre Hand frei und ratscht mir mit den Nägeln über die Wange. Ich hab das Gefühl, ich kämpfe mit einer Katze, aber noch hab ich nichts verlernt. Ich greife ihren Arm und drehe ihn auf ihren Rücken. Jetzt kann sie sich nicht mehr rühren.
    »Lass mich los«, zischt sie.
    »Nur, wenn du mich endlich in Ruhe lässt.«
    »Was heißt hier endlich, ich … ich hab doch gar nichts gemacht!«
    »Versprich es.«
    Ich werde den Teufel tun, sie loszulassen.
    »Vorsicht Tom, Schnecke kommt!«, ruft Toni. Schon wieder zupft er an meinem Ärmel. Mir fällt auf, dass sich eine Traube von Schülern um uns gebildet hat, die alle stumm zusehen.
    Schnecke, das ist unsere Lateinlehrerin, Frau Schneckler.
    Ich lasse los, instinktiv. Mit voller Wucht haut Tanja mir auf die Nase. Also doch wieder packen und Revanche. Nun regt sie sich nicht mehr, schaut mich nur noch an, blass und wütend, und da ist noch was anderes, keine Ahnung, da ist etwas in ihrem Gesicht, das nicht zu ihrer Situation passt. Ich meine, sie liegt auf dem Boden und ich halte ihre Fäuste und Beine fest, aber ich hab Angst, dass sie mir ins Gesicht spuckt oder mich verhext.
    Plötzlich zieht mich jemand kräftig nach hinten, am T-Shirt-Kragen. »Thomas! Tanja! Schämt ihr euch nicht?«, schreit Schnecke und schüttelt mich. Ich reiße mich los. Meine T-Shirt-Naht macht ein komisches Geräusch. Ich merke, dass meine Narbe begonnen hat, leicht zu bluten. Irritiert fasse ich mir an die Stirn. Tanja sieht es und sagt leise: »O Shit…«
    Frau Schnecklers Geschrei tut mir in den Ohren weh. »Thomas, wie kannst du nur ein Mädchen verprügeln? Du bist Klassensprecher, du solltest ein Vorbild sein! Und Tanja, hast du das nötig? Wollt ihr nicht mal erwachsen werden? Was soll ich jetzt mit euch machen, zum Chef bringen? Eure Eltern anrufen?«
    Tanja steht langsam auf und reibt sich die Handgelenke. »Nein, bitte nicht. Ich hab angefangen.« Ich bin sprachlos. Ich meine, das stimmt, aber - warum macht sie das?
    Sie streckt mir die Hand hin. »Okay, vertragen wir uns wieder. Es tut mir ja soo leid«, sagt sie. Ironisch. Ich merke das. Die soll bloß nicht denken, dass ich das nicht merke. Toni atmet hörbar durch, und Marc grinst, wenn mich nicht alles täuscht. Aber der weiß ja nicht, was ich durchmache.
    Nein. Sie bekommt meine Hand nicht. Ich drehe mich nur um und gehe an mein Pult.
    »Thomas, versprichst du mir, dass du so was nie wieder tust?«, fragt Schnecke und schaut mich so durchdringend an, dass meine Narbe noch mehr wehtut. Jemand drückt mir ein Taschentuch in die Hand, aber die Narbe blutet nicht stark. Es ist mir egal. Soll sie bluten.
    »Ja«, sage ich leise.
    Den Rest der Stunde redet sie übers Erwachsenwerden und was dazugehört. Wenn es irgendwie geht, macht sie Erzählstunden und kein Latein. Vielleicht hasst sie Latein in Wirklichkeit. Ich mag sie deshalb. Und sie mag meine Locken. Wie bei einem römischen Kaiser, nur in blond, hat sie in der Fünften gesagt, als sie mich zum ersten Mal gesehen hat.
    Jetzt lag ihr römischer Kaiser am Boden. Tanja hat vor mir den Kopf auf die Hand gestützt und rührt sich nicht. Ganz starr sitzt sie da. Und ich will nicht reden, mit Toni nicht, mit niemandem. Sie ist zäh und stark, das muss ich zugeben.
    Aber wenn sie mich auch hasst und ich sie, warum müssen wir dann … na ja, eigentlich habe ich immer noch nicht den Eindruck, dass sie mich hasst.
    »Falls das die Pubertät ist, dann will ich sie niemals kriegen«, flüstert Toni mir altklug zu. Ein ganz kleines bisschen muss ich grinsen.
    »Idiot.«
    »Ich dachte immer, Männer und Frauen tun dann andere Dinge.«
    »Mensch, Toni …«
    Männer und Frauen. Das ist doch so weit weg.
    »Heute Mittag Baumhaus?«, fragt er.
    »Okay.«
    »Wie alt sind wir?«
    »14.«
    »Frau Schneckler, darf man mit 14 noch in Baumhäusern sitzen?«
    Ich könnte Toni umbringen. Er kennt da nichts. Wenn er eine Frage hat, fragt er.

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