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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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dann rasten wir zu zweit den Waldrand entlang. Meteor zeigte, was in ihm steckte, aber er ist nicht mehr der Jüngste, mit Damos konnte er nicht mithalten. Es war ein wunderbares Gefühl, Tanja schließlich zurückzulassen. Ich weiß nicht, wie lange wir über die Felder flogen, zehn Minuten, zwanzig, bis Damos Schaumflocken vor dem Maul bekam und ich ihn langsam in den Trab zwang.
    Als ich zurückkam, war Tanja weg. Meteor hatte noch eine Decke auf dem Rücken liegen, damit er sich nicht erkältete. Ich rieb ihn am Hals und an den Flanken trocken und nahm schließlich die Decke herunter. Auf seinem Fell klebte ein Zettel. »Doch ein gutes Herz, hm?« Tanjas Schrift.
    Was soll das denn? Ich hab nie gesagt, dass ich ein schlechtes Herz habe. Für Pferde sowieso nicht. Ich setzte mich auf einen Heuballen und merkte, wie mein Puls raste. Ich war klatschnass geschwitzt. Damos begann über die Box hinweg mit Meteor zu schnäuzeln.
    »Meteor, wie hältst du das nur mit der aus?«
    Er schüttelte seine Mähne und schnaubte, als wollte er mich beruhigen.
    Ich blieb bis Sonnenuntergang, saß einfach nur draußen an der Tränke und sah den Schwalben zu, die über mir in den Dachfugen ihre Jungen fütterten. Damos streckte den Kopf durch sein Fenster und sah fröhlich aus. Ich wollte gar nicht nach Hause fahren. Irgendwann tat ich es doch.
    Die anderen hatten schon gegessen; Mama hatte mir ein paar Sachen stehen lassen. Brot und Käse, Tomaten und Joghurt. Und zwei Scheiben Hefekuchen. Ich duschte aber erst und zog mich um. Schon wieder neue Schmutzwäsche. Als ich die Treppe runterging, polierte Mama auf halber Höhe mal wieder ihren »antiken« Spiegel.
    »Na?«, fragte sie und wischte mit Hingabe. Ich konnte kein Stäubchen erkennen.
    »Mama, der Spiegel ist perfekt.«
    Ich setzte mich auf die Treppenstufen hinter sie, sodass wir uns über den Spiegel ansehen konnten.
    »Du weißt, es ist Omas Spiegel.« Sie nahm eine neue Portion Politur.
    »Ich weiß.« Ganz kurz hatte ich wieder Omas Geruch in der Nase; ich erinnere mich genau, wie sie gerochen hat, ein bisschen nach Vanille und Flieder und Menthol-Taschentüchern; auch, wie die einzelnen Zimmer im Haus gerochen haben, weiß ich noch. Manchmal passiert es mir, dass ich durch die Stadt gehe, und eine Frau hat ihr Parfüm an den Kleidern - ich rieche Oma und dann sind tausend Bilder in meinem Kopf; der Garten mit den vielen wilden Erdbeeren, die beiden Sträucher, die immer voller Schmetterlinge waren im Juni, und die alte Wanduhr, die so unheimlich schlug; die Brockhausbände mit den transparenten Grafiken drin. Einen Menschen konnte man damit aufblättern, bis auf die Knochen.
    Bis auf die Knochen. Oma liegt im Grab und da sind nur noch Knochen.
    »Machen wir mal wieder einfach nur was Schönes?«, rutschte es mir heraus.
    Mama hielt inne und schaute mich durch den Spiegel an. Sie legte ihren Lappen weg, drehte sich zu mir um und setzte sich auf die Kommode.
    »Alles nicht so einfach im Moment, was?«
    Ich schaute auf meine Füße und hatte einen Kloß im Hals.
    »Pass auf, Schatz, morgen sind Papa und ich in der Oper, aber übermorgen gehen wir alle zusammen in die Mühle essen, einverstanden? - Mein Gott, bist du gewachsen. Dir passen ja die Hosen kaum mehr!«
    Stimmt. Meine Hosen gingen gerade mal bis zu den Knöcheln.
    »Du brauchst neue Hosen«, stellte Mama fest. Ich hasse es, Klamotten zu kaufen. Diese engen Umkleidekabinen und fremde Frauen, die an einem rumzupfen.
    »Aber keine Hosenscheißerhosen. Die kommen mir nicht ins Haus«, fügte sie hinzu.
    Hosenscheißerhosen. Damit meint sie die, die man so auf der Hüfte trägt, damit die Unterhose oben rausguckt, und in die ich ungefähr fünf Mal reinpasse. Vor einem Jahr wollte ich so eine auch haben. Es gab einen Familienrat deswegen. Und sie haben gegen mich entschieden.
    Zuerst war ich wütend, weil fast jeder solche Hosen trug. Ich hasste es, mir vorschreiben zu lassen, was ich anziehen durfte und was nicht. Gut, Toni trug diese Hosen auch nicht, aber Toni ist ein Dandy, das sagt er sogar selbst, und ist sowieso immer anders als alle gekleidet. Und Marc hat auch keine.
    Ich hab mir dann mal heimlich eine von meinem Taschengeld gekauft und sie im Stall anprobiert. Das hat auch gereicht. Ich bin mit den Dingern ausgeritten und hab mir an den vielen Falten die Innenseiten meiner Schenkel aufgescheuert. Autsch!, hat das wehgetan.
    »Kauf du mir einfach was, aber nimm Lissi mit«, sagte ich. Lissi hat Geschmack. Und

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