Sturmsommer
sie weiß, was mir gefällt. Besser als Mama.
Dann ging ich in die Küche und hab gegessen, und da sitze ich jetzt noch und blättere in der »Brigitte«, die Mama liegen gelassen hat. Die Küchenuhr tickt leise und der Kühlschrank summt. Schöne Geräusche. Machen müde.
Schon wieder muss ich gähnen. Das fällt langsam auf. Dabei hatten wir noch nicht mal die erste Pause. Toni schaut mich prüfend an. Henri hat mich heute Morgen um fünf geweckt. Um fünf! Er fuhr mir mit der Zunge quer übers Gesicht und fiepte ununterbrochen. Mama hatte am Abend vorher noch gesagt, dass sie mit ihm rausgehen würde, aber als ich zum Schlafzimmer meiner Eltern schlich, war es so mucksmäuschenstill, bis auf Papas leises Schnarchen, dass ich nicht wagte, sie zu wecken.
Ich zog mich an und rannte mit Henri durch die Felder. Kaum jemand war so früh schon unterwegs, es war frisch und das Gras nass und der Himmel noch ganz sauber.
»… ist das klar, Thomas?«
Nie kann man mal in Ruhe träumen.
»Ja, natürlich«, sage ich patzig. Ich weiß nicht, worum es gerade geht.
»Wo bist du denn heute?«, flüstert Toni.
Ich kritzle »nachher« in sein Heft und er nickt. Ach, jetzt weiß ich, worum es geht. Die Bundesjugendspiele in fünf Tagen. Papa hat mir grünes Licht gegeben, ich darf mitmachen. Von mir aus könnte jeden Tag Sportfest sein. Ich freu mich drauf, endlich mal eine Abwechslung.
Apropos Abwechslung. Heute Abend machen wir endlich »das Schöne«, was Mama mir versprochen hat. Wir gehen in die alte Mühle essen. Vielleicht sind wieder junge Katzen da, wie letztes Mal.
»Henri, nein, nicht schon wieder.« Lissi ist am Rande der Verzweiflung. Henri bettelt ununterbrochen. Immer wieder stupst er ihr mit seiner feuchten Nase an die Hand oder legt seinen Kopf auf ihr Knie. Wir haben alle die Teller voll, aber keiner kommt zum Essen. Henri steht im Mittelpunkt, und das, seitdem er zum ersten Mal über unser Parkett geschlittert ist.
»Hundeschule«, sagt Mama nur knapp und ungefähr zum fünften Mal heute. Es klingt wie ein Befehl. Aber sie kann ihm ja auch nicht widerstehen.
Nach einer Weile bin ich satt, ich kriege keinen Bissen mehr runter.
»Na komm, zisch schon ab!«, sagt Papa und macht eine Kopfbewegung Richtung draußen.
»Okay«, und fort bin ich.
Hier bin ich als Kind schon rumgestromert. Ich liebe die Mühle. Überall das Geräusch von Wasser, der Stallgeruch, die vielen Tiere und drum herum der dunkle Wald. Die Besitzer kennen mich, seit ich klein bin, ich darf überall hin. Eigentlich habe ich in den letzten Jahren nur ein Ziel gehabt: die große Scheune. Jeden Sommer wuselte das Heu von kleinen Katzenbabys, und meine Eltern hatten alle Mühe, mich nach dem Essen wieder dort rauszukriegen.
Das Scheunentor steht offen, der Heuduft weht mir ins Gesicht, während neben mir eine Grille zu zirpen beginnt. Ich setze mich auf einen dicken Strohballen, lehne mich zurück und schaue nach oben ins Gebälk. Da, da blinkern zwei grüne runde Augen. »Hey Katze!« Das muss wohl die Mutter sein. »Ich tu euch nix.« Im gleichen Moment streicht etwas Warmes und Zartes um meine Beine. Ein schwarzes Katerchen ist es, spindeldürr und mit langen abstehenden Haaren. Ich nehme den kleinen Kerl mit der Hand hoch und setze ihn auf meine Knie. Er fängt laut an zu schnurren. Jetzt kommen sie aus allen Ecken, drei sind es, nein vier, und oben auf dem Dachbalken lauert die Mama mit ihren grünen großen Augen.
Ich schrecke hoch, da hat was gescheppert. Das schwarze Katerchen krallt sich in meine Hosenbeine und spitzt die Ohren. Es ist der Koch, er hat die Küchentür aufgemacht und an der Wand festgehakt, damit die Wärme abziehen kann. Dampf quillt heraus, als würde es brennen. Er winkt zu mir herüber. Ich kenne es schon, dieses Ritual. Kurz vor Feierabend wird durchgelüftet und er schmaucht am Mühlrad seine Zigarette.
Aber in der Küche ist noch mächtig was los. Langsam lichtet sich der Dampf. In der Tür sitzt eine Frau, mit dem gebückten Rücken nach draußen und einem riesigen Sack voll Zwiebeln zwischen den Knien; neben ihr steht ein Bottich, in den sie gerade eine geschälte Zwiebel wirft und sich dann seufzend über die Stirn streicht. Ihre Finger sind ganz braun und ihre Schürze ist dreckig. Irgendwas kommt mir an ihren Händen bekannt vor, aber ich weiß nicht, was.
Als hätte sie mein Starren bemerkt, dreht sie sich zu mir um. Es ist keine Frau. Es ist ein Mädchen. Ich blicke in ihre Augen, die rot und
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