Sturmsommer
teilnehmen wollte, erst recht nach der Blamage mit den Schnürsenkeln und meinem Sturz. Und jetzt einen Rückzieher machen - nein, Jens wüsste sofort warum.
Die anderen haben alle keine Lust aufs Sportfest. Das bedeutet: Ich muss eine Ehrenurkunde holen. Das ist unsere Cliquen-Regel. Entweder zwei Siegerurkunden oder eine Ehrenurkunde. Damit unsere Würde gerettet ist, sagt Toni immer und sieht die Sache global. Die Würde einer Ehrenurkunde würde sich gleichmäßig auf alle verteilen. Anja hat sich den Knöchel verstaucht, Marc hasst Sportfeste und Toni, na ja, der ist eigentlich nicht schlecht, aber er bringt es wieder fertig, drei Fehlsprünge abzuliefern oder sich die Kugel auf den Fuß fallen zu lassen. Wäre nicht das erste Mal.
Ich warte gerade auf ihn, wir wollen raus zu Damos. Das heißt, ich will raus zu Damos und ich habe ihn breitgeschlagen mitzugehen. Er muss sich schon mal auf ein Pferd setzen, bevor er mit auf die Trekking-Tour geht. Hoffentlich ist Tanja nicht im Stall. Wo bleibt Toni nur?
»Tom! Toni ist da!«
Aha, ist er wieder durch die Terrassentür ins Haus gegangen, ohne zu klingeln. Aber ich mag es, wenn er das tut. Das ist ein Gefühl, als würde er zur Familie gehören. Obwohl er ein sehr anstrengender Bruder wäre. Ich höre ihn die Treppe hochrennen. Tapp-tapp, tapp-tapp, tapp-tapp.
»Hi Fan!«, begrüßt er mich betont locker und haut mir auf die Schulter.
»Autsch!«
»Sorry, ich dachte, das gehört dazu, wenn man raus in die Wildnis geht«, grinst er und lässt sich auf mein Bett fallen. Er hat tatsächlich Jeans an. Echte, normale Jeans. Ich wusste nicht, dass er so was besitzt.
»Wo warst du denn die ganze Zeit?«
»Mein Schiff«, sagt er entschuldigend. Okay, das Schiff. Wegen dem er in den letzten Tagen mit roten kleinen Augen im Unterricht saß. Er baut Modelle. Wie ein Bekloppter. Von alten Segelschiffen. Nicht nach solchen Papier-Baukästen, nein, er macht alles selbst, und meistens fährt der Kahn anschließend nicht. Einmal mussten wir beide zusehen, wie eines der Schiffe abgesoffen ist, im See, es war ein Drama. Toni hat zwei Tage lang nicht mehr gelacht. Aber sie sehen immerhin sehr schön aus.
Bei der Projektwoche im vergangenen Jahr hat er einen Modellbaukurs angeboten und Jens hat sich dafür angemeldet und nur rumgepöbelt. Es war eine Höllenwoche für Toni. »Na, Kümmel, wann baust du dir deine erste Frau, he?«, muss Jens durch die ganze Gruppe gebrüllt haben und Toni sagte errötend: »Gar nicht, ich bau Schiffe.« Das konnte Jens nicht davon abhalten, tagelang auf seinem eigenen Witz rumzureiten.
»Was guckst du so finster, steht mir meine Jeans nicht?«, fragt Toni.
»Doch. Klar.« Das war glatt gelogen. Sie steht ihm nicht. »Nein, ich dachte an Jens und an morgen. Er macht beim 1000-Meter-Lauf mit. Und ich auch. Ich hab keinen Bock, gegen ihn zu verlieren.«
»Das wirst du auch nicht. Du darfst nicht verlieren! Okay? Denk gar nicht erst daran. Und jetzt bring mich zu deinem Gaul.«
»Du hockst auf dem Pferd wie ein Affe auf einem Schleifstein! Nun mach nicht so ein Gesicht! Fersen runter! Was tun deine Hände da? Fliegen fangen?« Toni sieht unglücklich aus. Seine Finger krallen sich in die Zügel und in Damos’ Mähne, und seine Beine baumeln leblos neben dem Sattel. Damos passt das alles gar nicht. Er macht den Hals lang und versucht, Gras zu fressen.
»Tom, ich geb’s auf! Das Pferd macht mich noch verrückt.«
»Ich glaube eher, du machst es verrückt.«
»Ich lerne es nie!« Jetzt wird Toni stur.
»Es war doch schon ganz okay«, muntere ich ihn auf. Auch das war gelogen. Aber Reiten lernt man eben nicht an einem Tag. So schnell darf er nicht aufgeben. »Noch ein Versuch. Damos, Teeeerab!«, rufe ich und er setzt sich in Bewegung.
Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie es passiert. Toni landet in hohem Bogen und mit einem verzweifelten Schrei in der größten Schlammpfütze des gesamten Reitplatzes, während Damos stolz weitertrabt. Ich versuche ernst zu bleiben, aber ich merke schon, ich habe keine Chance. Es sieht zu komisch aus, wie Toni erstarrt im Matsch sitzt und nach passenden Flüchen sucht. Wieder zieht Damos an ihm vorbei und seine wirbelnden Hufe überziehen Toni mit unzähligen Schlammklümpchen.
»Damos!«, rufe ich streng und versuche, ihn am Zügel zu fassen, doch meine Stiefel rutschen, Damos trabt vorbei und ich - sitze auch im Schlamm. Henri winselt begeistert und zieht an der Leine, mit der ich ihn am Zaun
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