Sturmsommer
und lautlos. Das Wasser ist kühl, aber nicht kalt.
Ich springe kopfüber rein und schwimme sofort raus in Richtung Boje. Nach ein paar Metern höre ich an Tonis Quieken, dass er auch drin ist - ohne Klamotten - und mir folgt. Jetzt bin ich hellwach. Die Kühle umfängt mich überall, als wäre ich eins mit dem Wasser. Von hier draußen kann man heute sogar die Alpen sehen. Das wird ein wunderschöner Sommertag.
Nach fünf Minuten habe ich die Boje erreicht und hänge mich dran. Es gibt nichts Besseres, als nackt zu schwimmen, finde ich. Ich hasse nasse Badehosen, die an einem kleben und kalt werden. Toni keucht auf den letzten Metern und klammert sich dann aufseufzend an das Befestigungsseil.
»Schön, oder?«, sage ich und tauche mit dem Kopf unter. Es ist, als könnte die Kühle all meine schlechten Gedanken wegwaschen. Ich komme wieder hoch und schüttle die Nässe aus meinen Haaren. Henri läuft bellend im seichten Wasser auf und ab. Er hat immer Angst, ich könnte ertrinken. Ich winke fröhlich zu ihm rüber. Vielleicht kapiert er das.
»Ich weiß nicht, ob das kalte Wasser so gut für meinen Bauch ist«, meint Toni kritisch, verstummt aber, als er meinen genervten Blick sieht. »Ja, es ist wirklich schön, hast recht.«
Wir hängen eine Weile an der Boje und sagen nichts, schauen nur zu, wie der erste Dampfer übersetzt und die restlichen Nebelschwaden unsichtbar in den blauen Himmel übergehen. Die Sonne scheint immer wärmer. Trotzdem wird es uns beiden langsam kalt.
Ohne ein Wort zu sagen machen wir uns zügig auf den Rückweg. Toni schwimmt gut, mit langen, ruhigen Bewegungen. Ich habe sogar Mühe mitzuhalten. Wenn er sich mal an das Wasser gewöhnt hat, ist er in seinem Element. Und ich glaube auch nicht, dass er jetzt noch an seinen Bauch denkt. Die coolsten Zeiten mit Toni hatte ich entweder in unserem Baumhaus oder am See.
Zitternd stehen wir am Ufer und lassen uns von der Morgensonne trocknen. Die Wassertropfen rinnen aus meinen Haaren und eiskalt im Nacken herunter. Lange habe ich mich nicht mehr so wohl gefühlt.
»Wir müssen zurück«, löst Toni das minutenlange Schweigen. Still ziehen wir uns an und schwingen uns auf die Räder. Das Fahren bringt die Wärme zurück in meine Knochen. Es ist halb sieben. Keine Zeit mehr, nervös zu sein.
In drei Stunden sind wir in den Bergen.
Langsam ist Papa etwas angespannt. Und ich glaube, er muss sich sehr beherrschen, um kein Donnerwetter loszulassen. Toni und ich können keine Minute mehr still sitzen und reißen ununterbrochen blöde Witze - seit gut zwei Stunden.
»Da!«, ruft Toni plötzlich und lehnt sich nach vorne. »Da ist Damos! Und ganz viele andere Pferde.« Na, ich weiß ja nicht, was er sich vorgestellt hat, aber das liegt nun mal in der Natur der Sache, wenn man einen Wanderritt macht.
»Und da sind Anja und Marc, schau mal«, sage ich und zeige auf den Stall, der vor uns auftaucht. Papa verdreht die Augen, aber an seinem Blick merke ich, dass er sich mit uns freut.
»Kommt, steigt aus, macht schon, sonst reite ich wirklich mit«, sagt er, hält an und holt unsere Taschen aus dem Kofferraum. Er drückt mich noch mal ganz fest und gibt Toni einen Klaps auf die Schultern.
»Wenn ich nichts von euch höre, ist also alles okay«, sagt er.
»Genau«, antworten wir gleichzeitig. Während der nächsten zwei Wochen haben wir ja Handyverbot und können nicht Zuhause anrufen. Nur die Leiter haben ihre Handys dabei. Für den Notfall. Aber wir hoffen natürlich, dass es keine Notfälle geben wird.
Damos hat mich erkannt und wiehert laut zu mir rüber. Jemand hat ihn schon an der Stallwand festgemacht und Sattel und Trense dazugelegt.
Eine Frau mit Pferdeschwanz und Westernreitklamotten läuft auf uns zu.
»Ihr seid …?«
»Thomas und Anton. Also Tom und Toni«, sage ich.
»Anton Lorbeer?« Sie zwinkert mir verschwörerisch zu und zeigt mit dem Daumen auf Toni. Ich nicke.
»Okay, willkommen. Ich bin Anne. Heute Abend werdet ihr Schmerzen haben«, lacht sie. Toni zuckt zusammen. »Macht erst mal die Pferde fertig, danach gibt’s ein kurzes Frühstück und wir erklären euch alles. Toni, du bekommst Lotte.« Sie geht vor und deutet auf eine stattliche Friesenstute, die neben Damos steht und ihn neugierig beäugt. Toni schluckt. Lotte ist beeindruckend muskulös und hat eine traumhaft lange Mähne.
»Tschüss, ihr beiden«, ruft Papa noch mal und lässt den Motor an. Toni sieht kurz so aus, als wolle er doch lieber nach Hause umkehren.
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