Sturmsommer
hatte ich das Bedürfnis, bei Damos zu sein. Er macht fast immer Theater, wenn ein Transport bevorsteht. Aber ich habe den Stall gemieden seit letzter Woche. Wenn es gegangen wäre, hätte ich mich nur irgendwo im Feld mit Damos getroffen.
Ich schaffe es die meiste Zeit, nicht an Meteor zu denken. Aber sobald ich mich dem Stall nähere, gelingt es nicht mehr. Es hat mich angestrengt, vor ihm immer so zu tun, als wäre alles in Butter. Ihm wie immer ein Möhrchen zu geben, die Stirn zu kraulen, mit ihm zu sprechen.
Tanja war einen Tag nicht in der Schule. Es hieß, sie sei krank. Vielleicht war es wirklich so. Ich meine, er ist nicht ihr Pferd, sie reitet ihn noch nicht lange, möglicherweise ist es für sie gar nicht so schlimm. Sie kam mir in letzter Zeit sowieso nicht mehr wie ein Mensch vor, der sonderlich viel fühlt. Höchstens wütend ist oder kühl und spöttisch. Oder müde. Aber vielleicht ist sie bei Tieren anders?
Halt, ich wollte nicht daran denken. Und heute erst recht nicht. Auf mich warten zwei Tanja-freie Wochen.
»Tom, ist alles okay?«, fragt Papa. Hat er was gemerkt?
»Ja, ja, klar«, sage ich fahrig und mache den Reißverschluss der Tasche auf.
»Da passt nie alles rein«, meint Papa mit kritischem Blick.
»Ich weiß«, stöhne ich genervt und setze mich auf den Boden. Mama sagte vorhin spitz, ich wäre alt genug, um auszusuchen, was alles auf so eine »gefährliche Reise« mitmuss. Sie hat wohl immer noch die leise Hoffnung, ich könnte mich umentscheiden und zu Hause bleiben.
»Zwei Reithosen, T-Shirts, eine Regenjacke, für jeden Tag Socken, eine Jeans, ein Paar Turnschuhe, eine Reitweste. Vierzehn Unterhosen. Ein Taschenmesser. Taschenlampe. Vaseline«, sagt Papa resolut und beginnt das Chaos auf dem Bett zu sortieren.
O ja, Vaseline. An so etwas wird Toni nicht denken, warum auch? Und ich muss ihm morgen früh irgendwie verklickern, dass es gut wäre, wenn er sich damit noch mal an gewissen Stellen einreibt, bevor er sich für Stunden aufs Pferd setzt. Ich hab auch die Veranstalter noch mal angerufen und sie gebeten, ein ganz lammfrommes Pferd freizuhalten. Sie meinten, sie hätten da einen alten Friesenmix, der schon die größten Angsthasen auf seinem Rücken durch die Welt getragen hat.
Aber Sattel ist nun mal Sattel und sogar mir graut es vor morgen Abend. Obwohl ich wirklich einiges gewöhnt bin.
»Aspirin, Pflaster, Jod, Vitamintabletten. Zum Lesen kommst du eh nicht«, listet Papa auf und macht sich daran, die Sachen zu verstauen.
»Mein iPod«, werfe ich ein. Der muss dabei sein. Mit Lissis 80er-Jahre-Songs. Ich hab sie extra noch draufgeladen. Grad gestern hat sie mir wieder eine CD hingelegt mit dem Hinweis, sie könne das eine Lied momentan eh nicht ertragen. Als ich sie durchhörte, wusste ich sofort, welches sie meinte. »Ich liebe dich« von Clowns und Helden. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut., wenn ich es höre. Ich spüre irgendwie, was der Sänger meint, obwohl ich das alles noch nie erlebt habe. »Ausgerechnet mir muss das passieren. Wir haben ‘86 und ich altes Trottelgesicht hab mich verliebt« - boah, der Text ist einfach Wahnsinn. Der sagt alles so direkt. Ob ich das auch mal auf diese Weise erlebe? »Manchmal kommt es mir wie eine Krankheit vor…« Jedenfalls muss dieses Lied mit und auch die anderen von Alphaville und Depeche Mode.
»Wozu Musik?«, fragt Papa rätselnd.
»Na ja, zum Reiten«, sage ich beiläufig und quetsche den iPod in die Seitentasche.
»Zum Reiten!? Bist du des Wahnsinns?« Oje, jetzt gibt’s eine Moralpredigt.
»Nach dem Reiten, nach dem Reiten, meinte ich!«, versuche ich ihn zu beruhigen. Ich muss ihm ja nicht auf die Nase binden, dass ich ab und zu beim Dressurtraining die Stöpsel in den Ohren hab, wenn ich alleine in der Halle bin. Mein Reitlehrer duldet es stillschweigend.
»Handy? Wo hast du dein Handy«, fragt Papa und wühlt in meinen Sachen.
»Wir dürfen keins mitnehmen. Wenn wir es mitnehmen, konfiszieren sie es sowieso. Die Betreuer haben natürlich welche dabei.« Ich zucke mit den Schultern. Toni ist fast ausgerastet, als er davon erfahren hat. Marc fand es gut. Die beiden haben beinahe angefangen zu streiten deswegen. Aber die Betreuer wollen, dass wir uns auf die Pferde und die Natur konzentrieren und nicht ständig auf unseren Handys rumdrücken und Filmchen und SMS verschicken. Schließlich hätten wir da oben auch keine Computer und keinen Fernseher und keine Spielekonsolen. Und das ginge ja auch. Ich
Weitere Kostenlose Bücher