Sturmsommer
Beinen und dem typischen Araberknick auf dem Nasenrücken. Es muss ein Araber sein, zumindest ein Vollblüter. Ich werfe einen kurzen Blick auf Toni, der in seinem Sattel langsam dahinzusiechen scheint.
»Sorry, aber ich muss mal weg«, rufe ich, und ehe er protestieren kann, treibe ich Damos nach vorne. Auf dem Vollblüter sitzt ein Junge mit pechschwarzen Haaren und ebenso dunklen Augen.
»Hi«, sage ich und starre das Pferd an. Es ist wunderschön. Sein weißes Fell schimmert in der Sonne. Es ist makellos. Und offensichtlich hat der Junge keine Mühe, das Pferd zu reiten. Ganz ruhig und entspannt hat er die Zügel in seiner Hand liegen und lächelt freundlich zu mir rüber.
»Siglavi«, beantwortet er die Frage, die ich gerade stellen wollte.
»Siglavi?« Sofort erinnere ich mich an das Buch meines Großvaters mit diesem Pferdekopf drauf, Siglavi, Sohn der Steppe. Also muss es ein Araber sein. Niemand benennt ein anderes Pferd nach diesem Roman. Das wäre albern.
»Ja, es ist einer«, beantwortet er auch diese Frage, bevor ich sie ausgesprochen habe. »Und ich bin Sid. Hi«, sagt er und streckt mir die Hand rüber. »Wir sind beide Araber, mein Pferd und ich«, fügt er erklärend hinzu. »Zumindest der Abstammung nach. Ich bin hier geboren, aber Siglavi wurde eingeflogen.«
Mir bleibt die Sprache weg. Eingeflogen. Siglavi äugt zu Damos rüber. Die beiden scheinen sich zu verstehen. Im Gleichschritt laufen sie friedlich nebeneinander her. Ich muss erst mal meine Gedanken sortieren. Sid blickt in die Ferne und hat immer noch ein Lächeln im Gesicht.
»Morgen machen wir einen Galopp zusammen«, sage ich spontan. Mir fällt im Moment nichts Klügeres ein. Sid muss lachen.
»Von mir aus am liebsten jetzt schon«, grinst er. »Aber dann können wir uns heute Abend von unseren Eltern abholen lassen.« O ja, es würde ein heilloses Chaos anrichten. Die anderen Pferde würden mitziehen und die Anfänger nur so runterpurzeln. Morgen dürfen die Fortgeschrittenen früher los und etwas mehr Tempo machen. Ich weiß, dass Siglavi Damos wahrscheinlich abziehen wird, aber darum geht es mir nicht. Ich denke einfach, es könnte Spaß machen mit Sid.
»Bist du schon mal in der Wüste geritten?«, frage ich weiter und merke im gleichen Augenblick, wie blöd meine Frage ist. Er ist Araber und reitet in der Wüste, klar, natürlich. Wahrscheinlich fragt ihn das jeder Idiot. Was für ein Klischee.
»Ja, ich bin wirklich schon in der Wüste geritten«, schmunzelt er. »Und ich sag dir - ich reite lieber hier. Kein Sand in der Nase und in den Augen, kein ausgedörrter Hals, keine verrückten Scheiche, die dich herausfordern wollen. Aber nachts ist es toll. Es ist kalt und man sieht tausend Sterne. Ich bin allerdings nur im Urlaub dort, ab und zu, bei meinen Großeltern.«
Auf einmal fällt mir Toni wieder ein. Ich drehe mich um und sehe an seiner eingefallenen Körperhaltung und seinem vorwurfsvollen Blick, dass ich mich schleunigst zu ihm begeben sollte.
»Du, ich muss wieder zu meinem Kumpel zurück. Teilst du mit uns ein Zelt heute Nacht?«
»Klar!«, strahlt Sid. »Kenne hier keine Menschenseele.«
»Jetzt kennst du mich!«, rufe ich zum Abschied und wende Damos ab, der unwillig folgt. Nur schwer kann ich meinen Blick von Siglavi lösen.
Toni macht ein missgelauntes Gesicht, als ich mich wieder neben ihm in die Schlussgruppe einordne.
»Spricht sisch deitsch?«, fragt er und weist mit dem Kinn auf Sid.
»Toni… Er kommt mit uns in ein Zelt, okay?« Ausgerechnet Toni, der bei jeder Gelegenheit betont, dass doch alle Menschen gleich sind, lässt so einen Spruch los. Ich glaube, er ist eifersüchtig.
»Aber wehe, er rollt mitten in der Nacht seinen Gebetsteppich aus.«
»Toni!« Wenn er Schmerzen hat, ist er ungenießbar. »Wir haben es bald geschafft, reiß dich am Riemen.«
Das Schönste an dem kurzen Ritt da vorne mit Sid war, dass ich Tanja nicht sehen konnte. Dass sie aus meinem Blickfeld gerückt war.
Doch von hier hinten habe ich sie immer in meinem Augenwinkel, das lodernde Rot ihrer Haare und Meteors mächtige, würdevolle Statur. Egal, wo ich hinblicke, ich registriere sie. Wie eine lästige Fliege, die man einfach nicht loswird und die immer stört.
NAcHTwAcHE
»Jetzt hab ich’s!« Tonis Stimme schallt dumpf aus dem Zeltinnern. Er ließ es sich nicht nehmen, den Zeltaufbau an sich zu reißen. Nun stehen wir zweifelnd vor dieser verkrumpelten Stoffpyramide mit dem wankenden Pfahl in der Mitte.
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