Sturmsommer
kann damit leben. Beim Reiten brauch ich mein Handy sowieso nicht.
Papa überlegt eine Weile und nickt zufrieden. Dann schaut er mich nachdenklich an.
»Du warst in den letzten Tagen irgendwie verändert«, sagt er und zieht mich neben sich aufs Bett.
»Verändert?« Ich weiß genau, was er meint. Ich habe mich so sehr bemüht, fröhlich zu sein. Aber da gab’s diese Momente, in denen ich einfach nicht da war, wie weggedriftet. Diese Momente, in denen ich mich darauf konzentriert habe, nicht an all die ernsten Themen zu denken. Aber ich will auch jetzt nicht dran denken. Heute Morgen hatte ich zum ersten Mal dieses kribbelnde Gefühl der Vorfreude im Bauch. Ja, ich freue mich auf die Berge und darauf, den ganzen Tag mit Pferden und meinen Freunden zusammen zu sein. Einfach für eine Weile auszusteigen aus dem normalen Leben.
»Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, wenn etwas ist. Egal, was passiert. Das weißt du doch, oder?«
Ja, ich weiß das. Ich nicke nur. »Haben wir jetzt alles?«, lenke ich ab.
Papa wirft noch mal einen prüfenden Blick in die Tasche.
»Ich denke ja. Und trink immer genug. Vergiss das Essen nicht.« Ich weiß nicht, wie oft ich diese Worte in den vergangenen Wochen gehört habe. In den letzten Tagen hatte ich wirklich kaum Hunger. Mein Magen knurrt, weil er leer ist, doch sobald ich einen Bissen zu mir nehme, bekomme ich so ein komisches, flaues Gefühl im Bauch. Aber krank bin ich bestimmt nicht.
Wahrscheinlich ist es das Reisefieber. Morgen sehe ich endlich Freddie wieder. Es ist so viel passiert seit dem Krankenhaus, ich werde Tage brauchen, um es ihm zu erzählen. Wir haben zwischendurch nur mal kurz gemailt. Mehr nicht. Aber auch ihm werde ich nicht alles erzählen.
»Okay, dann ab in die Federn. Morgen um sieben geht’s los. Keine Minute später, sonst reiten die ohne dich fort.« Papa steht auf und streckt sich. In seinen Knien knackt es. Ein altes Turnierleiden, wie er immer sagt. Er hat sich beim Springen so einige Knochen und Gelenke ruiniert.
»Gute Nacht«, sage ich und tue so, als würde ich ins Bett gehen. Kaum ist er die Treppe runter, flitze ich zu Lissi rüber. Sie hat sich auf ihre Couch verkrümelt und liest.
»Darf ich?«, frage ich vorsichtig.
»Na komm her«, grinst sie. Ich kuschle mich zu ihr auf die Couch. Henri versucht zu uns hochzuspringen, schafft es aber nicht, weil er sich mit den Pfoten auf dem kleinen Stück, das noch frei ist, nicht halten kann. Wir müssen beide lachen, weil es so drollig aussieht. Ich rutsche noch näher zu Lissi, und bei seinem zweiten Sprung klappt es. Er rollt sich zentnerschwer und erdrückend warm auf unseren Beinen zusammen.
»Und? Aufgeregt?«, fragt Lissi. O ja. Aufgeregt und müde und nervös und hellwach zugleich.
»Hmmm«, mache ich. Irgendwie habe ich früher besser auf ihr Sofa gepasst. Ich weiß gar nicht, wohin mit meinen Beinen, und auch Henri scheinen sie kein gemütliches Lager zu sein. Er schaut mich vorwurfsvoll an, als ich versuche eine bequemere Position zu finden.
»Was liest du da?«, frage ich schläfrig.
»Ach, so einen Schinken. Eine Highland-Saga. Feuer und Stein.«
»Lies doch laut.«
Lissi kichert. »Um Himmels willen. Das ist nicht ganz jugendfrei. Zappel nicht so rum, was ist denn los?«
Henri und ich verlieren gleichzeitig den Halt und plumpsen zusammen auf den Boden.
»Dein Sofa ist zu klein«, sage ich und Henri gibt einen empörten Jauler von sich. Ich merke, wie Lissi mich aufmerksam mustert.
»Nein, du bist zu groß. Mann, bist du groß geworden.« Sie hebt ihre Hand und streicht mir die Locken aus dem Gesicht. Eigentlich hätte ich noch einmal zum Friseur gemusst. Aber die Zeit reichte einfach nicht mehr. Dann dreht sie meinen Kopf zur Seite und studiert mein Profil. Langsam komme ich mir ein bisschen blöd vor.
»Du kriegst Papas Backenknochen«, meint sie und lächelt. »Wirst mal ein Hübscher.«
Wirst mal? Was soll denn das jetzt heißen. Vor allem klingt es wieder so nach Abschied, wie alles, was Lissi in letzter Zeit sagt. Als würde sie morgen fliegen. In ihren Gedanken ist sie offensichtlich schon in Amerika.
»Du bist aber noch da, wenn ich zurückkomme?«, frage ich sie.
»Hey, du musst mich sogar noch in Italien ertragen. Ich fahre mit.«
»Du fährst mit?« Ich schieße hoch und mache einen Luftsprung. Henri fängt an, mit dem Schwanz zu wedeln und beginnt sein Freudengebell. Bevor Mama und Papa durch meine Jubelschreie merken, dass ich noch bei Lissi
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