Sturmsommer
wo du mitfährst. Sie hatte da so ein Flugblatt, aus eurem Reiterstübchen. Das war alles.« Na prima. Aus meinem eigenen Stall.
»Und du hast ihr die Wahrheit gesagt.« Ich kann es nicht glauben.
»Ja«, antwortet Toni und schaut mich an. »Ich konnte nicht lügen. Ich dachte aber auch nicht, dass sie sich da anmeldet. Sie ist doch nicht mal auf die Klassenfreizeiten mitgefahren.«
Toni tritt nervös auf und ab. Ich bin sauer, ja. Aber ich möchte ihm nicht böse sein. Toni kann echt nicht lügen. Schon gar nicht, wenn Mädels ihn was fragen. Trotzdem kann ich es nicht fassen. Ein Flugblatt aus meinem eigenen Stall. Ich sollte öfter ins Reiterstübchen gehen. Dann hätte ich vorsorgen können und die Zettel verschwinden lassen. Aber Marc hat recht - ich hätte es ihr sowieso nicht verbieten können. Das ist ja das Gemeine. Und sogar Jens wusste, dass wir in den Ferien reiten gehen.
»Komm, du weißt, wie das läuft«, sagt Toni beschwichtigend. »Sie wird bei den Mädels sein, wir bei den Jungs. So ist das doch immer bei Freizeiten und Schulausflügen. Kennst du doch. Alle Mädchen auf einem großen Haufen. Und normalerweise finden wir das blöd. Jetzt wirst du es gut finden«, versucht er mich zu besänftigen.
Vielleicht hat er ja recht. Ich werde sie meiden, so gut es geht. Einfach ignorieren. Wir sind bestimmt zwanzig Leute, das wird schon klappen. Ich wende mich Damos zu, ich muss ihn endlich satteln.
Meine gute Laune ist verflogen. Trotzdem - das um mich herum ist meine Welt. Ich kann die Berge sehen und es riecht überall nach Pferd. Hier wiehert es, da hört man Hufe klappern, dort bellt ein Hund. Und irgendwo steht auch Tanja. Aber das darf mich jetzt nicht kümmern. Ich sehne mich nach dem ersten schnellen Galopp, bei dem ich meine Wut hinter mir lassen kann. Und sie dazu.
DER SONNE ENTGEGEN
»Tom …« Als ich in Tonis verzerrtes Gesicht blicke, fällt mir ein, dass ich vor lauter Wut vergessen habe, ihm von der Vaseline zu erzählen. »Mein Hintern«, flüstert er dramatisch. »Ich habe wirklich schlimme Schmerzen!« Er schaut sich um und vergewissert sich, dass niemand mithört. Aber ich habe mich abgesondert, weil Damos vorhin etwas nervös war. Langsam wird er ruhiger und langsam fühle auch ich mich entspannter. Die Luft hier oben ist angenehm frisch, aber die Sonne brennt. Marc hat schon einen roten Kopf und auch Anja ist sichtlich erschöpft. Noch haben wir eine Stunde Wegstrecke vor uns.
»Wir machen sicher gleich Pause«, sage ich und überlege krampfhaft, wie ich ihm das mit der Vaseline beibringe.
»Du hättest dich eincremen sollen«, mache ich einen ziemlich unbeholfenen Anfang.
»Was, hab ich Sonnenbrand?«, ruft Toni und versucht, während des Reitens einen Blick auf seine Schultern zu werfen. Lotte quittiert seine ruckhaften Kopfbewegungen damit, dass sie einfach stehen bleibt. Ich schnalze mit der Zunge und sie setzt sich wieder in Bewegung.
»Konzentrier dich mehr aufs Pferd«, sage ich. »Und nein, ich meinte nicht Sonnencreme. Weiter unten.« Allmählich werde ich rot.
»Aha«, sagt Toni irritiert und setzt an, etwas zu sagen. Doch dann unterbricht er sich selbst und lässt noch mal ein »Aha« hören, aber diesmal ein deutlich beschämtes. »Ich glaube, es ist schon zu spät!«, stöhnt er nach einem minutenlangen und unendlich peinlichen Schweigen.
Ich weiß nicht, ob ich lachen soll oder ob er mir leidtut.
»Setz dich morgen halt in den Planwagen und ruh dich aus«, rate ich ihm so ernst wie möglich. Das Lachen blubbert tief unten in meinem Bauch.
Der Planwagen wird von zwei Friesen gezogen und trägt den Großteil unserer Ausrüstung und die Zelte. Wir erregen Aufmerksamkeit, wo wir auch hinkommen. Die Leute bleiben stehen und winken uns nach und ich hab schon so manche neiderfüllten Blicke gesehen. Es ist ein schönes Gefühl, dabei zu sein und nicht winkend an der Straße stehen zu müssen.
Aber langsam wäre ich froh über eine Trabstrecke oder einen kurzen Galopp. Damos kann gar nicht verstehen, wieso er seit zwei Stunden Schritt gehen muss. Vor allem würde ich gerne an die Spitze der Gruppe vorrücken - was bedeuten würde, dass ich Toni im Stich lasse, denn Lotte hat ein äußerst gemächliches Tempo und sieht auch nicht ein, schneller zu gehen. Das wiederum stimmt Damos zickig, den ich ständig parieren muss, damit er nicht lostrabt.
Aber seit zwei Stunden schaue ich nur ein Pferd an - diesen stolzen Wallach da vorne mit seinen schlanken rassigen
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