Sturmsommer
Songs auf der Gitarre, die ich von irgendwoher kenne, vielleicht von Lissi, vielleicht von meinen Eltern. Ich glaube, jeder kennt diese Lieder irgendwoher. Toni lehnt schwer an meinem Bein und döst. Marc hat Anja im Arm. Es ist ein komisches Gefühl, die beiden anzuschauen. Fast, als würde es ein bisschen wehtun. Wie ein Stich. Sid liegt lang gestreckt auf einer Bank und blickt in den Himmel. Freddie sitzt bei Anne und teilt sich mit ihr ein Liederbuch. Ich hätte wissen müssen, dass er mehr Zeit mit den Älteren verbringt. Und nicht mit mir.
Über dem schwarzen Wald geht der Mond auf, eine silbrigweiße Sichel, die sich klar gegen den samtschwarzen Himmel abhebt. Ich schiebe Toni vorsichtig gegen die Bank und erhebe mich. Die anderen bemerken es gar nicht.
Damos steht mitten auf der eingezäunten Weide, still und stolz. Als ich auf ihn zugehe, dreht er langsam den Kopf. Seine schwarzen Augen schimmern. »Schlaf gut«, sage ich und streiche mit beiden Händen über seinen Hals.
Dann gehe ich ins Zelt. Alle anderen sind noch draußen. Die Gesänge schwappen mit dem Wind herüber. Immer wieder. Dazwischen Lachen und das Prasseln des Feuers. Im Wald ruft ein Käuzchen.
Ich ziehe meine Reithose und das T-Shirt aus und lege mich in den Schlafsack. Wenn ich jetzt einen Wunsch freihätte, würde ich mich nach Hause auf Lissis Sofa zaubern lassen. Aber es wird keine Fee kommen. Ich weiß es.
Ich nehme mein T-Shirt, das so gut nach Damos riecht, und drücke mein Gesicht hinein. Der Schlaf kommt plötzlich und mit aller Macht.
In der Nacht sind Wolken aufgezogen. Toni sitzt mit verkrampftem Gesicht auf der Bank und schlürft seinen Kaffee. Heute früh hat er sich mit der Vaseline hinter einen Busch verzogen, aber ich fürchte, das nützt nicht mehr viel. Ich esse gerade mein drittes Brötchen und habe immer noch Hunger.
Die Stimmung ist nicht gut. Ich sehe Anne und Johannes an, dass etwas nicht in Ordnung ist. Jetzt steht Anne auf und klopft gegen ihre Tasse.
»Hört mir mal alle zu. Alle!«, ruft sie. Es ist schlagartig still.
»Mir ist es egal, wer hier in wen verliebt ist und wer wen toll findet, und ich weiß, dass Mädchen Jungen mögen und umgekehrt. Das ist kein Thema. Aber wir haben hier Regeln. Und es kann nicht angehen, dass ihr nachts eure Zelte verlasst.«
Ein paar Mädchen fangen an zu tuscheln, aber sobald Anne sich räuspert, verstummen sie wieder. Ich blicke mich verwundert um. Wir waren doch alle viel zu kaputt, um an irgendwelche nächtlichen Ausflüge zu denken!
»Heute Nacht war das zweite Mädchenzelt nicht komplett. Und zwar für Stunden. Kinners, das geht nicht. Ich schicke die Leute heim, die nachts nicht in den Zelten bleiben, und das meine ich ernst!«, sagt sie streng.
Ich habe keinen Zweifel daran.
»Es ist einfach zu gefährlich. Wir sind hier in der Pampa. Bleibt zusammen. Ab Mitternacht ist jeder in seinem Zelt. Und nirgendwo sonst. Verstanden?«
Bei ihren letzten Worten blickt sie Tanja in die Augen, die müde zurückschaut. Tanja? Tanja war bei den Jungs im Zelt? Oder hatte es vor? Toni und ich gucken uns verblüfft an.
»War die etwa bei uns?«, frage ich ihn leise. Ich habe so fest geschlafen, ich hab nichts mitbekommen.
»Hey, ich war k.o., aber ich merke doch, wenn ein Mädchen im Zelt ist«, sagt Toni im Brustton der Überzeugung. Ich glaube ihm das sogar. Sein leichter Schlaf ist eine Plage. Auf der letzten Klassenfreizeit hat er bei jedem Kirchturmschlag vor sich hin gemurmelt. Also stündlich.
Aber wo war Tanja dann? Möglicherweise hat sie sich tatsächlich in einen anderen verliebt. Ich hätte nichts dagegen. Nur soll es keiner von meinen Freunden sein. Irgendwie bin ich froh, dass Sid bei uns im Zelt war. Dann ist er es auf keinen Fall.
»Okay, die Fortgeschrittenen können die Pferde fertig machen und losreiten«, ruft Johannes. Toni schaut mich flehentlich an. »Du gehst also jetzt?«
»Du kommst schon klar. Halt dich an Marc und Anja.«
Tanja bleibt auch sitzen. Aber sie ist doch keine Anfängerin mehr. Ich weiß nicht, was mir im Nacken sitzt, als ich an ihrem Tisch vorbeigehe und sie frage: »Du nicht?«
Sie schaut an mir vorbei und schweigt.
»Ihr ist schlecht«, sagt das Mädchen neben ihr. Ich zucke mit den Schultern und antworte nichts. Was soll ich auch sagen? Besser, sie ist nicht dabei. Damos wartet schon am Gatter auf mich. Meteor klebt geradezu an ihm, als ich den Sattel auflege.
Ich bin froh, dass es endlich losgeht.
»Alle mal versammeln«,
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