Sturmwelten 01
dass man uns dort nicht verurteilen würde? Der Käpt’n mag über das Ziel hinausgeschossen sein, aber das wird vor einem Gericht niemals als Beweis reichen.«
»Er ist krank!«
»Beweisen Sie es! Sonst erreichen Sie lediglich eine Verurteilung wegen Meuterei. Mehr nicht! Denken Sie an die Mildtat !«
Die eindringlichen Worte der Ärztin kühlten Roxanes Gemüt schlagartig ab. Ihr war schwindlig, und sie spürte das Blut aus ihrem Antlitz schwinden.
»Harfell wird uns noch alle in den Untergang führen«, flüsterte sie düster, doch sie konnte der Ärztin ansehen, dass die Worte nicht zu ihr durchdrangen.
»Schlafen Sie, Leutnant. Sie sind erschöpft. Nach ein paar Stunden Schlaf sieht die Welt gleich besser aus.«
Obwohl Roxane nickte, wusste sie, dass sich durch den Schlaf nichts ändern würde. Auch in drei Stunden würde Harfell noch Kapitän sein, und noch immer wäre er krank und gefährlich. Wieso sieht sie das nicht? Wieso hält sie mich für unzurechnungsfähig und nicht ihn? Übertreibe ich? Nein, Cearl und Aella pflichten mir bei , dachte sie, während sie sich nur notdürftig entkleidet in ihre Koje fallen ließ.
Trotz der Unterstützung durch die anderen Leutnants blieb ein schales Gefühl der Unsicherheit. Sie wollte eine gute Offizierin sein, hatte jetzt bereits einige Jahre darauf hingearbeitet, und doch war sie von der Situation überfordert. Darauf hatte man sie nicht vorbereitet, weder in ihrer Zeit als Fähnrich noch bei den Offiziersexamen. Zwar kannte sie die Kriegsartikel in- und auswendig, aber deren Anwendung war schwierig; die hierarchische Struktur der ganzen Flotte basierte auf Gehorsam, ja auf unbedingtem Gehorsam.
Die Befehlskette lief von den höchsten Gremien der Admiralität bis hinab zum letzten Matrosen, bis zum Lagerarbeiter auf den Werften und Docks der Königlich-Thaynrischen Marine. Und als besonders wichtig wurde die Befehlsgewalt der Kapitäne geachtet, deren Machtbefugnisse sie zu kleinen Königen auf ihren Schiffen machten und auch machen mussten. Daran zweifelte Roxane keinen Moment. Es durfte kein Infragestellen dieser Macht geben, weswegen allein der Gedanke, geschweige denn der Versuch der Meuterei mit einem Tabu belegt war.
Egal, wie gerechtfertigt die Absetzung eines Kapitäns sein mochte, zunächst einmal würden alle Beteiligten wegen Meuterei vor ein Kriegsgericht zitiert werden. Selbst wenn dieses Gericht die Angeklagten für unschuldig befand, blieb ein Makel, der sehr wohl die Karriere eines Offiziers beenden konnte. Nichts war der Flotte verhasster als die Auflehnung gegen die von der Einheit, von der Königin und vom Parlament eingesetzte Ordnung. Und selbst jetzt widerstrebte Roxane der Gedanke daran, diese Ordnung anzuzweifeln.
Die Müdigkeit trieb sie schnell in einen wenig erholsamen Schlaf, aus dem sie immer wieder aufschreckte.
Tag und Nacht verloren jede Bedeutung, wenn man zwei von drei Wachen halten musste. Die Mantikor bahnte sich ihren Weg durch die Dunkelheit, einer Spur folgend, deren Ziel nur durch die zahlreichen Sterne beleuchtet wurde.
Das Schiff war unbeirrbar und getreu, anders als die Menschen, die auf ihm gefangen waren. Richte ein Schiff im richtigen Winkel zu den Winden aus, setz die korrekten Segel, und es
wird tun, was du verlangst. Doch eine Mannschaft war schwieriger, auch wenn sie manchmal wie ein geölter Mechanismus wirken mochte, wo man nur am richtigen Hebel ziehen musste, um ihn in Gang zu setzen.
Der angenehm frische Wind wehte Roxane um die Nase und belebte ihren Geist zumindest ein wenig. Auf dem Achterdeck stand sie beinahe allein in der Dunkelheit. Es gab nur sie, das Schiff und das Meer; eine tröstliche Erfahrung. Die endlose See, deren Fluten schon so manchen Menschen samt seiner Sorgen verschlungen hatten, rauschte verlockend. Die junge Offizierin lehnte sich an die Reling und betrachtete die Reflexion der Himmelslichter im Wasser. Ein leises Räuspern ließ sie herumfahren, doch es war nur Cearl, der sich höflich an den Zweispitz tippte.
»Alles in Ordnung, Thay?«, erkundigte er sich. Natürlich sollte er eigentlich in seiner Koje liegen, doch er und Aella kamen während ihrer Freiwachen immer wieder an Deck. Zufällig, wie es schien, aber Roxane wusste es besser: Sie sorgten sich um sie und sahen nach ihr, damit sie keinen Fehler beging oder gar auf Wache einschlief. Einerseits fand sie ihre Fürsorge unnötig, andererseits war sie dafür dankbar, denn der Zusammenhalt unter den Offizieren war
Weitere Kostenlose Bücher