Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
überführt werden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen …«
Ohne sich weiter um den Beamten zu kümmern, wandte die junge Offizierin sich ab.
Inzwischen hatte auch das Dingi am Pier angelegt, und Jaquento sprang leichtfüßig an Land. Die seltsame Echse saß auf seiner Schulter, und er wirkte so selbstsicher, als habe der junge Mann gerade die Insel in Besitz genommen.
Immer noch wütend, wies Roxane mit dem Finger auf ihn. »Sie kommen mit mir mit. Sie können dem Admiral alles erzählen, was Sie wissen.«
»Natürlich, Meséra.« Sein Lächeln war breit, aber sie konnte nun einen Hauch von Verunsicherung in seiner Miene sehen. Gut , dachte sie, während ihr Zorn verflog und einer schwer fassbaren Leere wich. Auf ins Gefecht . Ihre Schritte waren federleicht, und sie fühlte sich, als könnte der auffrischende Wind sie jeden Augenblick von der Schwere der Welt lösen und in den grauen Himmel tragen.
SINAO
Die lauten Rufe, die von allen Seiten auf sie eindrangen, übertönten ihre Worte. Hier und da jammerten Männer und Frauen, andere rissen sich an den Haaren oder schlugen sich mit den Fäusten gegen die Brust. Obwohl einige der Stückpforten geöffnet worden waren, herrschte unter Deck ein stetes Zwielicht, in dem die Leiber der ehemaligen Sklaven wie ein vielgliedriges Wesen aus einer fremden Welt wirkten.
Hilfe suchend blickte Sinao zu Manoel, der noch auf der untersten Stufe der Treppe stand, als befürchte er, von dem Ungeheuer aus Armen und Köpfen und weinenden Augen verschlungen zu werden, wenn er den letzten Schritt hinabtat. Schließlich zuckte er mit den Achseln und sah sie mit abwehrend erhobenen Händen an. Mit seiner braun gebrannten Haut und der schlanken Gestalt wirkte er fast selbst wie ein Paranao; nur sein helles Haar, das ihm in wirren Strähnen und verfilzten Zöpfen ins Gesicht hing, zeigte seine Herkunft aus Corbane. Schließlich erbarmte der junge Maestre sich ihrer und schenkte ihr eines seiner kurz aufflackernden Lächeln, bevor er doch den Schritt hinabtat und laut rief: »Ruhe! Hört alle her!«
Sein Paranao war durch den Akzent seiner Heimat gefärbt, weniger kehlig, doch leicht zu verstehen. So sehr waren die Sklaven daran gewöhnt, ihren Herren zu gehorchen, dass seine Worte ausreichten, um Ruhe einkehren zu lassen.
»Es wird alles gut«, erklärte Sinao schnell, die entstehende Stille dankbar nutzend. »Sie schicken uns kleine Schiffe, um uns an Land zu bringen. Dort wird man sich um uns kümmern. Alles wird gut.« Ihre Hand suchte den Zemi -Stein, der das Gesicht Anuis trug, und den sie immer in einer Tasche ihres Rocks bei sich hatte.
Doch trotz ihrer Beteuerungen sah sie die Angst in den Augen der anderen Sklaven, die mit ihr von der Insel Hequia geflohen waren. Es waren Thaynrics gewesen, die sie gefangen gehalten hatten, Männer und Frauen der Compagnie, mit Soldaten in Uniformen. Keiner traut den Blassnasen. Warum sollten wir auch ? Dennoch bemühte sich Sinao, ihre Stimme fest und überzeugt klingen zu lassen, als sie wiederholte: »Alles wird gut.«
»Was wird mit uns geschehen?«, rief ein einäugiger Mann zu ihr herüber. Tangyes Peitsche hat ihn das andere gekostet, erinnerte sich Sinao.
»Die Cacique von Thaynric sorgt für alles«, erklärte die junge Frau bestimmt. »Sie hat die Blassnasen auf dem großen Schiff geschickt, um uns zu befreien. Tangye ist tot, und die anderen auf Hequia wird die Cacique bestrafen. Sie wird uns Essen geben und eine Heimat.«
Die Angst der Umstehenden schien ein wenig nachzulassen. Einige der Krieger redeten leise auf die anderen ein. Sie flößten ihnen Mut ein; nicht weil sie selbst so empfanden, sondern weil sie es als ihre Aufgabe ansahen. Keiner wusste, was mit ihnen geschehen würde, auch Sinao nicht. Aber die Lüge war im Augenblick besser als die Wahrheit, denn eine Panik unter den befreiten Sklaven konnte niemandem von Nutzen sein.
»Lass uns an Deck gehen«, bat Manoel und wies mit einer galanten Geste die steile Treppe hinauf, die aus den düsteren Eingeweiden der Windreiter an die frische Luft führte. Dankbar lief Sinao empor. Zu sehr erinnerte sie das warme Innere
des Schiffes an die Küche auf Hequia, an ihr Dasein als Sklavin, an die Unterwerfung, die Angst und den Tod.
Die Gegenwart der übrigen Paranao riefen ihr stets Majaguas Tod am Strand der Insel ins Gedächtnis, wo seine Augen schon die Freiheit sahen, während Tangyes Kugel ihm das Leben raubte. Die Erinnerung war zu bitter, die Wunde zu tief, als
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