Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
dass Sinao ihr lange standhalten konnte. So flüchtete sie an Deck.
»Sie vertrauen uns nicht, oder?«, fragte Manoel und kratzte sich im Nacken, während er mit zusammengekniffenen Augen die Insel betrachtete. Er trug lediglich eine einfache Hose, deren zahlreiche Flicken und Flecken das Alter des Kleidungsstücks verrieten. An seinem Gürtel hing eine kleine Ledertasche, in der er seine Pfeife und Rauchkraut aufbewahrte. Sinao hatte auf der Fahrt davon gekostet, doch ihr gefiel das Gefühl nicht, das der Rauch mit sich brachte. Sie hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren, wenn sie sich der Leichtigkeit in ihrem Kopf überließ, und das in ihr zu befreien, was sie nicht verstand.
»Sie können euch nicht vertrauen. Die Blassnasen haben ihnen nie etwas Gutes gebracht«, erwiderte Sinao vorsichtig. Sie wollte den Maestre nicht verärgern. Doch Manoel schien ihre Antwort kaum zu kümmern.
»Es wird regnen«, erklärte er und deutete zum Horizont.
»Wirst du mit ihnen gehen?«
Unbemerkt war Bihrâd an sie herangetreten. Wie so oft hielt der seltsame Mann sich nicht mit Höflichkeiten auf, sondern sprach direkt. Seine Worte klangen ungewohnt in Sinaos Ohren, seine Sprache runder und fließender, als die Corbaner sonst sprachen. Unsicher sah sie ihn an, und wie immer folgten ihre Augen den Linien und Punkten der Tätowierungen in seinem Antlitz, bis seine Gesichtzüge dahinter einfach verschwanden.
»Ich weiß nicht.« Sie schwieg und zählte im Geist bis zwanzig, doch er sah sie weiterhin ohne Regung an, bis sie weitersprach. »Ich weiß gar nichts.«
»Du kannst hierbleiben«, warf Manoel schließlich ein. »Der Käpt’n hat sicher nichts dagegen. Ich meine, falls er weiterhin unser Kapitän bleibt und ihn die Thaynrics nicht die Neunschwänzige kosten lassen und ihn an einer Rah aufknüpfen. Is”n besseres Leben hier an Bord als so manches da draußen.«
Ihr Blick folgte seinem zu der Insel, in deren Bucht sie vor Anker lagen. Unvorstellbar viele Hütten und Häuser standen dort, wuchsen wie seltsame Pflanzen den Hang des Berges empor, drängten sich am Wasser, waren über-, nebenund hintereinander gebaut, in bunten Formen und Farben. Auf einen Blick sah sie dreihundertvierundsiebzig Gebäude, doch sie war sicher, dass sich andere ihren Blicken entzogen, verborgen waren hinter den großen Häusern oder den Bäumen, die grün zwischen all den anderen Farben standen. Lessan musste eine gewaltige Stadt der Corbaner sein.
»Ich weiß nicht.«
»Klar. Is’ deine Entscheidung, Sin«, erwiderte Manoel und gähnte. »Wollen wir mal an Land gehen? Gibt’n paar schöne Ecken in Lessan. Wenn man sich auskennt. Ich könnt sie dir zeigen.«
Eigentlich wirkte die Menge der Gebäude bedrohlich auf Sinao, doch das Weinen und Raunen, das aus dem Niedergang tönte, ließ sie dennoch nicken. Besser, als dauernd an Hequia erinnert zu werden.
»Soll ich mitkommen?«
Am liebsten hätte die junge Frau Bihrâds Frage bejaht, aber Manoel winkte ab.
»Uns passiert schon nix. Wir passen auf, oder?«
In Bihrâds Nähe fühlte Sinao sich sicher, was hauptsächlich an seinen Fähigkeiten lag. Er nannte sich selbst einen Magietrinker, und genau das konnte er. Mit einer bloßen Berührung oder sogar nur kraft seines Geistes beendete er Manoels Zauber. Sie hatten es ihr vorgeführt, als sie sich im
Laderaum verkrochen hatte, aus Angst davor, dass die Kraft in ihr sich wieder einen Weg bahnen würde, ohne ihr Wollen oder Zutun. Solange Bihrâd dabei war, konnte dies nicht geschehen. Aber Manoel schien ihre Sorgen nicht zu bemerken, und sie traute sich nicht, etwas zu sagen.
Überraschend legte Bihrâd seine Hand auf ihre Schulter. Seine dunklen Augen verrieten seine Gefühle nicht, aber Sinao erahnte etwas in ihnen und fühlte sich dem dunkelhäutigen Mann unvermittelt verbunden. Seine Hand fühlte sich kühl an, beruhigend, als bremse sie ihr rasendes Herz und gebe ihr Zuversicht und Kraft.
»Geh mit Manoel. Er hat recht. Ihr beide könnt auf euch selbst aufpassen. Er kann dir mehr beibringen als ich.«
Er blieb noch stehen, während ihr Herz achtunddreißigmal schlug, und es war, als flösse seine Kraft zu ihr, um ihre Zweifel im Nichts zu ertränken. Dann ließ er sie los und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab. Sinao war wie gelähmt. Erst als Manoel kicherte, wurde sie aus ihrer Trance gerissen.
»Manchmal klingt er wie ein verfluchtes Orakel. Komm, lass uns ein Boot besorgen.«
Den Kopf voller Gedanken, doch mit viel
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