Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
erzählte oder ob er mitten in eine Märchenstunde hineingeraten war.
»Das Seltsame daran ist aber nicht einmal, dass er sie frisst«, erklärte Sean, in dessen Miene der Hiscadi kein Zeichen dafür entdecken konnte, dass er nicht jedes Wort ernst meinte, »sondern dass sie sich nicht dagegen wehren. Sie gehen einfach zu ihm, wenn er sie ruft, und präsentieren ihm ihre Kehle. Und das ist es, was dieses Land so verdammt seltsam macht. Du tust besser daran, das niemals zu vergessen.«
»Danke für den Ratschlag«, erwiderte der Hiscadi. »Auch wenn ich nicht vorhabe, selbst irgendjemandem meine Kehle zu präsentieren, und seien seine Ziele noch so edel.«
Das brachte Sean zum Grinsen. »Ich weiß, Kumpel. Ich weiß. Und ich habe nachgedacht. Wir lassen euch in Danam laufen. Ihr könnt den Weg zurück nehmen, entweder den Fluss hinunter, oder ihr folgt der Straße.«
Jaquento betrachtete sein Gegenüber mit einem überraschten Blick. »Warum der Sinneswandel?«
Sean zuckte mit den Schultern. »Ich glaub dir, dass ihr nichts wisst, das is’ es. Du jagst die Todsünde wegen ihrer Ladung, aber was die genau is’, weißt du so wenig wie wir. Und es is’ ja nich’ so, als ob ihr uns in die Quere kommen könntet. Deine Kapitänin wird im Hafen von Tu Gan liegen bleiben oder spätestens in Danam umkehren müssen. Sie wird wohl kaum ihr Schiff aufgeben wollen. Und was die Hanoan angeht: Ich bin kein von ihnen gedungener Kopfgeldjäger und hab auch keine Lust, einer zu werden. Also, warum
soll ich euch weiter mitschleppen? Nein, ab Danam könnt ihr wieder eurer eigenen Wege gehen.«
»Bihrâd und ich machen uns also auf den Rückweg … und ihr?«
»Wir sorgen dafür, dass das, was alle wollen, nicht in die falschen Hände gerät.«
Jaquento schnaubte. »Irgendwie sagt das jeder. Und irgendwie glaubt jeder, dass die eigenen Hände die einzig richtigen sind.«
Sean nickte. »Vielleicht. Aber wir haben auch einen guten Grund, die Ladung zu suchen: Die Thayns haben uns nicht vergessen. Wir waren nur lange Zeit nicht besonders wichtig, während es in Corbane diesen Krieg gab. Aber der is’ jetzt vorbei. Und da nun so was Wichtiges gefunden wurde …« Sean hielt inne, als überlege er. »Jedenfalls müssen wir zumindest herausfinden, was die ganze Aufregung soll.«
Jaquento antwortete nicht. Er hatte sich in seiner Heimat an keinem Krieg beteiligt, und es interessierte ihn nicht, wen oder was der Viererbund als Bedrohung ansah. Er wusste nur, dass man ihn in eine Sache hineingezogen hatte, die weit über alles hinausging, was er verstand. Er hatte dem Strom erlaubt, ihn mit sich zu reißen, aber jetzt wurde es Zeit, sich dagegenzustemmen.
Lächelnd wies Sean nach vorn. »Da ist Danam schon.«
Vor dem Horizont, an dem sich der erste Schein des neuen Tages zeigte, war deutlich eine dunkle Silhouette zu erkennen. Dächer, Türme, Häuser erstreckten sich als schwarze Schattenrisse vor einem Hauch von Blau.
»Dann können wir jetzt gehen?«
»Ihr kommt noch mit in die Stadt. Ich kann euch eine Passage auf einem der Frachtkähne buchen, die nach Tu Gan fahren, wenn du es willst. Is’ bequemer als laufen.«
Mit einem vorsichtigen Stoß in die Rippen weckte Jaquento
Bihrâd, um ihm die gute Neuigkeit zu erzählen. Der Maureske lauschte seinen Worten und warf dabei immer wieder undeutbare Blicke zu Sean, der ungerührt an seinem Platz saß und sich eine Pfeife stopfte.
Ich sollte dem Mauresken nachher von Seans Geschichten erzählen. Von dem Drachen, der seine Nachkommen frisst, und dem offenbar ein ganzes Volk gern auch mit dem eigenen Leben dient, dachte der Hiscadi.
Für einen Moment tauchte Sinoshs Bild vor seinem inneren Auge auf. War auch die kleine Echse ein Kind des Drachenkaisers? Und wird er eines Tages gefressen werden, weil er nicht weiter wachsen darf?
Da sie sich der Stadt näherten, wurden die Wagen langsamer, denn selbst am frühen Morgen herrschte auf der Flussstraße bereits reichlich Verkehr. Jaquento studierte die fremdartigen Gebäude, Gefährte und Gesichter, als Bihrâd sich zu ihm hinüberbeugte und ihm ins Ohr flüsterte: »Etwas stimmt nicht, Jaq.«
»Hm? Was?«
»Magie. Viel Magie.«
Sofort war der Hiscadi wach.
»Wo?«
»Um uns herum. Ich kann es überdeutlich spüren, Jaq. Es ist nicht weit weg.«
»Die Todsünde ?«
Vorsichtig blickte Jaquento zu Sean, der jedoch den letzten Abschnitt der Fahrt dazu zu nutzen schien, noch etwas Schlaf zu finden. Es gab kein Anzeichen dafür,
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