Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
der vorgebliche Matrose, dann seufzte er leise. »Ihr Corbaner. Immer denkt ihr, alles dreht sich nur um euch. Vielleicht sind wir nich’ gar so blöde Inselaffen, wie ihr es gern hättet.«
Der Hiscadi hob abwehrend die Hände. »Das wollte ich nicht sagen«, protestierte er. »Mein eigener Patriotismus hält sich jedenfalls in ziemlich engen Grenzen. Und ich wollte mir kein Urteil über eure Fähigkeiten erlauben. Aber es ist nun mal ein verdammt weiter Weg von der Sturmwelt bis hierher, oder etwa nicht?«
Sean blickte ihn prüfend an, dann wischte er sich über den Mund und nickte. »Es könnte ja auch mehr als einen Weg geben, um von dort nach hier zu kommen. Schon mal daran gedacht? Man muss nicht immer erst nach Corbane, wenn man irgendwo hinwill.«
Diese Worte versetzten den Hiscadi in Staunen. »Soll das bedeuten, ihr habt von der Sturmwelt aus die Westpassage entdeckt?«
Wieder schwieg Sean. Er lehnte sich zurück und betrachtete Jaquento lange Zeit einfach nur. Als dieser sich aufrichtete, um dem Blick zu begegnen, stieß er gegen Bihrâd. Der Maureske murmelte etwas im Schlaf in seiner Sprache, die niemand hier verstand, dann drehte er sich wieder auf die Seite.
»Uns blieb gar nichts anderes übrig«, erläuterte Sean schließlich, als Bihrâd wieder leise zu schnarchen begann. »Die Thayns hatten jeden Handelsweg nach Corbane blockiert. Sie kamen nicht an uns heran, aber ihre Flotte konnte den gesamten Osten so dichtmachen, dass nicht einmal ein Furz durchgekommen wäre.«
Jaquento grinste.
»Also haben wir uns woanders umgesehen. Im Viererbund gibt’s eine Menge unbeschäftigter Seeleute, wenn du verstehst, was ich meine. Und eine Reihe gar nicht mal übler Kapitäne. Ein paar davon haben sich aufgemacht, um neue Seerouten zu entdecken.
Tu Gan ist der westlichste Hafen der Länder des Drachenkaisers, und wir haben hier nur Leute, um ein Auge auf euch Corbaner zu haben. Ihr habt eure Finger schließlich überall drin.«
»He, ich hab’s dir doch schon erklärt: Zu dem ihr gibt es kein wir .«
»Sagt der Mann, der auf einem Kriegsschiff der Königlichen Marine von Thaynric als Passagier mitfährt.«
»Vor Boroges wollten sie mich noch hängen«, murmelte Jaquento. »Ich bin wegen der Sache dabei, nicht wegen der Thayns.«
»Wegen der Sache und nicht wegen der Kapitänin?«, erwiderte
Sean und zwinkerte Jaquento zu. Der Hiscadi wollte erst eine unwirsche Antwort geben, ließ es dann aber bleiben. Wozu auch? Was macht es für einen Unterschied, ob ich es Sean gegenüber leugne? Vor seinem inneren Auge sah er Roxane in ihrer Uniform, und plötzlich wurde jeder andere Gedanke von der Frage verdrängt, wo sie jetzt wohl sein mochte und ob es ihr gutging.
Erst Seans nächste Worte brachten den Hiscadi wieder in die Wirklichkeit des Karrens zurück.
»Dieses Land ist ziemlich seltsam, Kumpel«, erklärte der blonde Seemann. »Vielleicht liegt es daran, dass es hier so viele Menschen gibt, vielleicht aber auch daran, von wem sie angeführt werden. Die Leute hier denken anders, oder zumindest kommt’s mir so vor. Jedenfalls scheint das Leben des Einzelnen hier einen viel geringeren Wert zu haben, als wir es gewohnt sind.«
»Ich habe Orte in der Sturmwelt gesehen, an denen das Leben Einzelner keinen verfluchten Heller wert war«, entgegnete Jaquento trocken. »Warst du je auf einer Sklaveninsel?«
Sean hob beschwichtigend die Hände. »Ich meine damit nicht, dass es auf den Inseln nicht genügend Drecksäcke mit gepuderten Perücken auf dem Kopf gäbe, denen das Leben ihrer Leute völlig egal ist. Aber das hier is’ anders. Es geht nicht darum, dass die Gouverneure und Admiräle sich nich’ um das Leben ihrer Untergebenen scheren, sondern darum, dass die Leute hier sich selbst nicht so wichtig nehmen. Wichtig ist in den Ländern des Drachenkaisers immer eine übergeordnete Größe – das Land, die Familie, der Herrscher. Das höhere Ziel sozusagen.
Und das gilt für die Drachen ebenso wie für die Menschen. Ich habe weise Männer sagen hören, dass es nur einen wirklich großen Drachen gibt, ihren Kaiser. Alle anderen sind seine Kinder, und wenn die Zeit gekommen ist, dass sie für
seinen Geschmack zu groß oder zu erwachsen oder zu gefährlich werden, ruft er sie zu sich und frisst sie auf.«
»Der Drachenkaiser ist ein Drache, der seine eigenen Nachkommen frisst?«, erkundigte sich Jaquento mit emporgezogenen Augenbrauen. Er fragte sich, ob Sean ihm gerade wirklich etwas über das Land
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