Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
dass er die Worte des Mauresken gehört hatte.
»Wir müssen …«, begann Jaquento, brach aber ab, als unvermittelt um sie herum großer Lärm entstand. Schreie ertönten, als Männer sich einen Weg durch den dichten Verkehr bahnten. Jaquento sah prächtig gewandete Soldaten,
deren goldene Uniformen mit verwirrenden Mustern in Grün versehen waren. Sie trugen lange Waffen, die wie Hellebarden wirkten. Ihre Gesichter waren hinter seidenen Schals verborgen, die kunstvoll um den Kopf geschlungen waren.
Sean schlug die Augen auf und griff nach seinen Waffen, aber schon waren die drei Karren von vier Dutzend Soldaten umringt, deren Haltung keinen Zweifel daran ließ, dass sie jederzeit kampfbereit waren.
Im Zwielicht des Morgens sah es so aus, als ob jeden Moment Gewalt ausbrechen würde. Dann jedoch trat ein großer, glatzköpfiger Mann durch die Reihen der Soldaten. Auch er war in Gold gekleidet, doch sein Gesicht war unverhüllt. Er wirkte seltsam auf Jaquento, noch eigenartiger als die übrigen Menschen dieses Landes, aber der junge Hiscadi konnte nicht sagen, warum.
»Bitte, leisten Sie keinen Widerstand«, sagte er zu Jaquentos Überraschung in fließendem Thaynrisch.
Sean ließ seine Pistole sinken. »Verdammt, die Verbotene Garde!«
Jaquento sah ihn fragend an, aber Sean warf ihm nur einen Blick zu, der besagte, dass sie tief in der Klemme steckten.
TAREISA
Es war die kalte Luft, die sie umwehte, die Tareisa aus der Dunkelheit riss. Sie konnte fühlen, dass Druck auf ihren Körper ausgeübt wurde, und sie öffnete die Augen.
Nebelfetzen flogen um sie herum, mit irrsinniger Geschwindigkeit. Sie sah eine dunkle Gestalt vor einem Nachthimmel, hörte das Rauschen von Wind und fühlte die Berührung von rauem und doch nachgiebigem Material auf ihrer Haut. Verwirrt sah sie empor und zuckte vor Schreck zusammen.
Sie befand sich hoch über der Erde, zwischen Wolken, und eine gewaltige, geschuppte Klaue hatte sich um ihren Körper gelegt und hielt sie erbarmungslos fest. Tareisa keuchte, als sie den Drachen erkannte, der sie angegriffen hatte. Die einzelnen Eindrücke fügten sich nun in ihrem Geist zusammen: Sie hing in der Klaue des Drachen, der viele Hundert Meter über dem Boden flog.
Instinktiv versuchte sie, sich für die Vigoris zu öffnen, doch noch bevor sie einen Zauber formen konnte, brüllte der Drache wütend auf, und seine Klaue schloss sich noch fester um Tareisa, drückte ihr die Luft aus den Lungen und ließ sie vor Schmerzen aufstöhnen. Einige Sekunden lang dauerte die Umklammerung an, dann ließ sie nach, und der Drache schwenkte für einen Moment seinen Kopf an seinem langen
Hals zu ihr herum, und Tareisa konnte die goldenen Augen sehen, in denen eine unmissverständliche Warnung funkelte.
»Schon gut«, erklärte sie matt. Der Einsatz von Vigoris wäre ohnehin selbstmörderisch gewesen. Sie konnte noch die Nachwirkungen des letzten Zaubers spüren, die Anstrengungen ihrer Flucht und des Marsches. Selbst wenn sie sich hätte befreien können, wäre sie wohl in die Tiefe und damit in den Tod gestürzt.
So blieb ihr im Augenblick nichts weiter, als ihr Schicksal zu akzeptieren. Sie spürte Verzweiflung in sich aufsteigen, aber es war der Zorn, der schließlich die Überhand gewann. Man hatte sie gefangen, in Dunkelheit gehalten, grausam behandelt, und als es ihr endlich gelungen war zu entkommen, war sie in die Fänge eines mythenumrankten Wesens geraten, das nun wer weiß was mit ihr vorhatte. Ihr Meister sandte ihr keine Hilfe; er antwortete ihr nicht einmal auf ihre Nachrichten. Ihr Platz in der Welt, den sie die letzten Jahre so einfach und sicher beansprucht hatte, war ihr genommen worden.
Unter ihr zog eine dunkle Landschaft dahin. Sie konnte nicht genau sagen, wie schnell der Drache flog, nur dass er schneller als jedes Pferd und jedes Schiff war. Seine mächtigen Schwingen schlugen unablässig und trugen sie voran, dem fernen Horizont entgegen.
Schon nach kurzer Zeit fühlte sich Tareisa selbst unglaublich leicht, wie losgelöst von ihrem Körper. Sie empfand keine Angst mehr und spürte keine Kälte. Ihr Geist driftete davon, fern aller Gedanken, wie im Halbschlaf zwischen Wachen und Träumen gefangen. Es war eine unwirklich anmutende Reise, zwischen den Wolken und auf halbem Weg zwischen Himmel und Erde.
Erst als am Horizont vor ihnen ein schmaler Streifen Licht zu sehen war, schwand der tranceartige Zustand, in dem sie sich befand, und Tareisa begann, wieder sie selbst zu
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