Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
war es schon hell im Zimmer, und sein Blick fiel auf Roxane, die ihn, auf einen Ellbogen gestützt, wortlos betrachtete. Noch ein wenig schlaftrunken überlegte Jaquento, ob er sie erst necken oder gleich in seine Arme ziehen sollte, da wurde plötzlich die Tür aufgerissen, und sie beide schreckten von der Matte hoch.
Halb rechnete der Hiscadi damit, den Mann zu sehen, der ihnen Essen und Wasser brachte, aber stattdessen stand Shan vor ihnen, wie immer begleitet von seinen Wachen.
Wollen sie nun etwa Roxane holen?, fragte sich Jaquento beklommen. Und was hat dieser Glatzkopf von unserer Situation hier gerade mitbekommen?
Undurchdringlich ruhte Shans Blick auf seinen beiden Gefangenen.
»Wo zwei Ströme zusammenfließen, entsteht ein dritter«, erklärte er. »Ich werde euch nicht an die Géronaee ausliefern. Mein Herr wünscht, dass ich euch beide und den Magietrinker, der bei den Wachen vor der Tür wartet, zu ihm bringe.«
THYRANE
Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein, dass er zuletzt auf einem Linienschiff gesegelt war, und es kam Thyrane nun noch überfüllter und enger vor, als er es in Erinnerung hatte. Seit dem offiziellen Ende des Krieges mit Géronay hatte die Flotte zur Entlastung der Staatskasse bereits mehrere Schiffe auf Kiel legen und die Matrosen ziehen lassen, und so war es für Kapitäne zur See, anders als in Kriegszeiten, in denen Seeleute knapp und hart umkämpft waren, gegenwärtig kein Problem, ihre Mannschaftsstärke auf einem hohen Niveau zu halten.
Der Eindruck der quälenden Enge änderte sich jedoch schlagartig, als Thyrane in die Kajüte der Admiralin geführt wurde. Anders als er auf der Imperial hatte Farcey eine ganze Zimmerflucht zur Verfügung, was der Größe der Amerswatt geschuldet war. Als ein Schiff von hundert Kanonen und mit drei Geschützdecks war sie wie geschaffen für die Rolle als Flaggschiff. Dafür aber auch ein langsamer und frustrierend ungeschickter Segler, befand Thyrane.
Ihm selbst hatten die großen Dreidecker der Marine nie viel bedeutet. Am wohlsten hatte er sich stets auf den wendigen Fregatten gefühlt, auch wenn er in seiner späteren Karriere durchaus das eine oder andere Linienschiff kommandiert hatte.
»Aomas!«, rief Admiralin Farcey, als er durch die Tür in das Arbeitszimmer trat. Er nahm seinen Dreispitz ab und machte eine kleine Verbeugung.
»Thay.«
»Lass den Unsinn. Solange wir unter uns sind, nennst du mich gefälligst Fridgae, sonst werde ich unleidlich.« Sie warf einen Blick in Richtung ihres Stewards, der in tadelloser Livree und mit regungsloser Miene bereitstand. »Jeffron zählt nicht.«
Die Miene des Mannes blieb weiterhin unbewegt und unterstrich so die Worte.
»Was immer du wünschst.«
»Einen Port? Oder lieber etwas Härteres? Wir sind gut bestückt.«
»Ein Port wäre fabelhaft, vielen Dank. Aber zuerst muss ich dir zu deiner Beförderung gratulieren. Wenn sie jemand jemals verdient hat, dann du.«
»Dein Kompliment freut mich sehr.« Sie goss zwei Gläser ein und wies auf zwei bequem aussehende Sessel, die so standen, dass man von ihnen aus durch die Fenster am Heck sehen konnte. »Doch ich trage die Schuhe eines Toten, Aomas. Es war ein seltsames Gefühl, durch diesen furchtbaren Drachenangriff einen solchen Posten zu erhalten.«
Thyrane setzte sich und sah sie an. Sie war älter geworden, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Vielleicht spiegelten sich in ihrem Gesicht sogar mehr Jahre, als tatsächlich vergangen waren. Das Kommando über ein Schiff zu führen und für das Leben mehrerer Hundert Männer und Frauen verantwortlich zu sein, brachte dies häufig mit sich. Auf der linken Gesichtshälfte der Admiralin war eine Narbe zu sehen, die noch leicht gerötet war. Sie zog sich vom Ohrläppchen über die Wange bis hoch zur Augenbraue. Als sie seinen Blick bemerkte, drehte sie den Kopf
ein wenig, so dass sie sich ihm nun von rechts im Profil präsentierte.
»Beförderungen erreichen einen oft über den Rücken der Toten. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht verdient sind. Und gerade, wenn eine Bedrohung durch solche Kreaturen aufgetaucht ist, wird die Marine fähige Männer und Frauen besonders brauchen.«
»Mag sein, mag sein. Es hat mich dennoch unterhalb der Wasserlinie getroffen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Thyrane verstand sehr gut, auch wenn er weniger deutlich in die Lücke aufgerückt war, die ein Tod in den Reihen der Admiralität hinterlassen hatte. Farcey war direkt auf
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