Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
sich.
»Du willst mich mit deiner Magie vernichten. Tue es. Du kannst es. Öffne dich ihr, gib dich ihr hin.«
Sinao wich vor ihm zurück, kroch auf allen vieren rückwärts, bis sie gegen einen harten, kühlen Gegenstand stieß. Der alte Mann sah lächelnd auf sie herab, so ruhig, als befänden sie sich nicht auf einem vom Tod gezeichneten Schiff, sondern als gäbe es nur sie beide in einer ansonsten leeren Welt.
Sie ballte die Fäuste. Die Zeit wurde langsamer, floss träge um sie herum, als die Vigoris sie durchströmte. Die Pforte in ihrem Herzen öffnete sich weit, und Sinao zwang sie noch weiter auf. Die Macht floss durch ihren Körper, erhebend und beängstigend zugleich. Um sie herum wirbelte heiße Luft, ihre Haare lösten sich aus dem Zopf, wurden von dem Wind gepackt, den ihre Magie beschwor. Sie wollte diese gewaltige Macht auf den Alten schleudern, wollte ihn vernichten, zerstören, auslöschen. Schmerzen brandeten durch ihren Leib, als die Vigoris weiter anschwoll, sie zur Gänze erfüllte, für nichts mehr Platz ließ außer der gewaltigen Macht, die sie mit sich brachte. Es war viel, viel zu viel, mehr als jemals zuvor durch sie hindurchgeflossen war, aber sie wollte es nicht anders, sie musste die Vigoris in jeder Faser ihres Körpers spüren, um ihrer Wut Genüge zu tun.
Sinaos Blick fixierte den Alten.
Bevor sie ihren Zauber formen konnte, war er heran. Es war, als betreffe ihn die Zeit gar nicht, als bewege er sich zwischen den Augenblicken, so wie auch Sinao es schon getan hatte. Er presste sie gegen den Gegenstand in ihrem Rücken, immer noch lächelnd. Und seine Magie umgab sie.
Unvermittelt spürte sie, wie ihr die Vigoris entzogen, um sie herum fortgesogen wurde. Es war ein Gefühl, als würde sie sich selbst verlieren.
Sie stemmte sich dagegen, doch es war zu stark, zu viel, zu schnell. Sie wollte die Pforte in sich schließen, aber der Strom der magischen Energie war zu mächtig geworden.
»Wie wunderbar du bist, mein Kind«, flüsterte der alte Mann. »In einer anderen Zeit hätte ich dich als Schülerin genommen, und ich hätte dich gelehrt, mit all deiner kostbaren Macht umzugehen. Du hättest eine Große unter uns werden können.«
Seine Stimme klang fern, aber dennoch meinte Sinao, einen Hauch von Bedauern darin zu spüren.
Dann verschwand sie ganz in der Vigoris. Sie konnte nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mehr schmecken. Alles war Vigoris, alles war Magie, und selbst als ihr Körper von Krämpfen durchgeschüttelt wurde, als ihr das Blut aus Mund und Augen lief, konnte sie nichts tun, als sich dieser reinen Macht zu ergeben.
TAREISA
Das brennende Schiff lag immer noch gefährlich nah an der Todsünde . Tareisa sah, wie Jaquento zu den Männern und Frauen an den Piken sprang, und auch Franigo half dort mit, das Feuerschiff auf dem dringend benötigten Abstand zu halten.
Die Maestra konzentrierte sich und entließ Vigoris in kurzen, schnellen Stößen, kaum geeignet, um mehr als ein wenig Luft zu bewegen. Aber genug, um Funken und brennende Trümmer von der Todsünde abzuwehren. Ihre Windstöße wirbelten durch den Rauch, und sie fachten das Feuer weiter an, aber sie sorgten auch dafür, dass die Flammen nicht auf ihr Schiff übergriffen.
»Drei … zwei … eins … schiebt!« Jaquentos Befehl donnerte über das Deck. »Und schiebt!«
Die Besatzung stemmte sich gegen die Piken. Die Hitze des Infernos brandete über die Maestra hinweg, nahm ihr den Atem, trocknete ihr Mund und Augen aus.
Durch das Flirren der Hitze sah sie undeutlich eine Gestalt auf dem anderen Schiff, die aus einem Niedergang taumelte. Ihre Bewegungen waren ungelenk, und dann sah die Maestra, dass der Mensch bereits lichterloh in Flammen stand. Er schrie nicht, sondern wankte auf sie zu, dann brach er einfach zusammen, verschwand aus ihrem Blickfeld.
Sie wollte das Gesicht abwenden, aber sie musste aufmerksam bleiben; jeder Fehler, den sie oder ein anderer machte, mochte die Todsünde in Brand setzen, und dann wären sie der schrecklichen Gewalt eines Feuers auf See ausgeliefert.
»Weiter! Schiebt, verflucht!« Der Kapitän lehnte sich gegen die Pike, mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht.
Ein Seemann brach an der Pike zusammen, sackte in die Knie und begrub das Gesicht in den Armen. Die Flammen leckten nach der Todsünde , als wären sie lebendig und auf der Suche nach weiteren Opfern. Das Feuerschiff rührte sich nicht, so sehr die Besatzung sich auch anstrengte, und dann sah Tareisa,
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