Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
wo er die Beine unter den Köper zog, die Flügel zusammenfaltete und den Kopf darauf ablegte.
Wie um alles in der Welt soll ich eine Unterhaltung mit einer intelligenten Echse beginnen?, fragte Roxane sich, der das Absurde der Situation gerade mit voller Wucht klar wurde.
»Jaquento ist nicht hier, Kleiner«, erklärte die junge Kapitänin schließlich.
Sinoshs Haupt hüpfte einmal auf und ab. Als würde er nicken. Es dauerte einen Moment, bis Roxane verstand.
»Aber er war hier an Bord. Nur ist er heute an Land gegangen, und ich habe keine Ahnung, wo er jetzt steckt.«
Sie kam sich ein wenig lächerlich dabei vor, ihre Sorgen einer Echse anzuvertrauen, aber andererseits hatte sie in
den letzten Wochen so viele seltsame Dinge erlebt, dass dies hier kaum den Höhepunkt darstellte.
Wieder nickte Sinosh, diesmal sah es ziemlich aufgeregt aus.
Die Kapitänin musterte den Drachen und legte ihren Dreispitz vorsichtig neben ihm ab. Sorgfältig strich sie sich die blonden Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, hinter die Ohren.
»Verstehst du mich eigentlich?«, fragte Roxane endlich. »Oder hörst du nur auf Jaquento?« Dann überlegte sie kurz. »Nick einmal, wenn du verstanden hast, was ich sage.«
Die Echse nickte, und Roxanes Aufregung wuchs.
Ich rede mit einem Drachen! Gut, es ist kein besonders großer Drache, aber immerhin.
»Bist du auf der Suche nach Jaq?«
Jetzt hob Sinosh den Kopf und drehte ihn nach links und rechts. Nein.
»Weißt du, wo er ist?«
Nicken.
»Warum kommst du dann zu mir?«, grübelte die junge Kapitänin.
»Du hast ihn getroffen?«
Nicken.
»Und, kommt er zurück?«
Heftiges Kopfschütteln.
Ein Schock durchfuhr sie, und sie sah ihre ärgsten Ängste bestätigt.
»Ist ihm etwas zugestoßen?«
Nicken.
»Ist er in Gefahr?«
Und wieder nickte der kleine Drache, während sich kalte Furcht in Roxane ausbreitete.
TAREISA
Es war nicht heiß, obwohl die Sonnenstrahlen oft durch die Wolken drangen. Dennoch fühlte sich Tareisa, als ob sie durch eine Wüste marschierte. Jeder Schritt ließ ihre Hoffnung mehr und mehr sterben. Sie wanderte erst seit einem halben Tag, und schon war sie erschöpft. Durst war ihr zum ständigen Begleiter geworden. Mit Hilfe von Vigoris hatte sie einige Handvoll Meerwasser von Salz befreit und trinkbar gemacht, aber die Magie laugte sie zu sehr aus, als dass sie sie oft zuhilfe nehmen wollte. Besonders, da sie keine Möglichkeit hatte, ihren Körper zu erfrischen. Früher oder später musste sie etwas Nahrhaftes finden, und bislang hatte sich die Küste als ziemlich lebensfeindlich erwiesen. Bis auf vereinzeltes Strandgut – morsche Holzstücke und die Überreste zerrissener Netze – hatte sie nichts gefunden, und ihre Fähigkeiten, dem Meer Essen abzutrotzen, waren bedauerlicherweise unterentwickelt. So würde sie auch hier auf Vigoris zurückgreifen müssen, was ihre Kräfte weiter aufbrauchen würde.
»Und keine Menschenseele weit und breit. Nur Sand und Wasser und Steine«, murmelte sie halblaut vor sich hin.
Ihre Hoffnung, doch noch auf Zivilisation zu stoßen, hatte sie inzwischen begraben. Hier gab es nichts, keine Fischer, keine Hirten, keine Menschen. Der alte Mann hatte ihr einst davon berichtet, dass zwischen dem Reich der Nigromantenkaiser
und jenem der Drachen eine Ödnis lag, die jahrhundertelang die Länder getrennt und so Kriege zwischen ihnen verhindert hatte, aber die Maestra hatte sich damals nicht vorstellen können, dass es direkt am Meer eine so verlassene Landschaft geben konnte. Nun sah sie sie mit eigenen Augen, und sie verstand, warum diese von allen Geistern verlassene Küste die Reiche besser als jedes Gebirge getrennt hatte. Wie hat er es genannt? Ach ja, ein Gleichgewicht der Macht und des Schreckens.
»Statt Geschichtslektionen hätte er mir das Angeln beibringen sollen«, sagte Tareisa zu sich selbst und musste bei dem Gedanken schmunzeln. Sie war nicht sicher, ob sie sich wegen ihres neuen Hangs zu Selbstgesprächen Sorgen machen sollte, aber sie war entschlossen, alle Gedanken darüber auf bessere Zeiten zu vertagen. Jetzt gaben ihr die eigenen Worte einfach nur das Gefühl, noch ein Mensch zu sein, wenn auch vielleicht der einzige im Umkreis von einigen Hundert Meilen.
Zwar war die Hoffnung geringer geworden, aber noch wich sie nicht ganz der Verzweiflung. Tareisa wusste, dass sie über die Mittel verfügte, der Situation zu entrinnen. Sie musste sie nur richtig einsetzen und vorsichtig mit ihren
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