Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
erwartete, dass die Kreatur sich wieder in die Luft erhob, doch stattdessen lief sie auf sie zu, nicht einmal besonders schnell, mehr so, als habe der Drache alle Zeit der Welt. Was ja auch der Wahrheit entspricht.
Seine Flügel waren eng zwischen Vorderläufen und Körper gefaltet und schienen ihn auch am Boden nicht zu behindern. Als er das Maul wieder öffnete, sah Tareisa seine eindrucksvollen Reißzähne und die lange Zunge. Wie hypnotisiert betrachtete sie das Spiel der Muskeln auf seiner Brust, die hellen Schuppen, jetzt weniger blau als beige, die Klauen, die sich tief in den Sand gruben. Was auch immer der alte Mann ihr über Drachen erzählt hatte, es reichte nicht annähernd an die Gewalt der Erscheinung heran, die sich nun, entgegen ihren Erwartungen, geradezu tänzelnd auf sie zubewegte.
Aber sie war keine einfache Maestra. Sie hatte nicht an den Akademien Corbanes gelernt, wo man die Vigoris kastriert und mehr Wissen vergessen als bewahrt hatte. Ihr Wissen um das Arsanum kam aus einer anderen Quelle, die vielleicht ebenso alt wie die Drachen war, und es kannte in Corbane kaum Ebenbürtiges.
Sie schrie, als sie ihre Macht entfesselte. Ihr Schrei wurde zu einem Sog, der die Vigoris mit sich riss. Wie eine Welle rollte sie über den Strand, wirbelte Sand auf, war wie ein Sturm. Sie traf nicht den Drachen, der innegehalten hatte, sondern den Boden unter ihm. Eine gewaltige Fontäne schoss hervor. Sand und Steine hüllten den Drachen ein, schleuderten ihn umher. Sie brüllte nun ihren Widerstand heraus, hörte nicht auf. Die Vigoris floss durch ihren Leib, zerrte an ihrer Seele. Sie spürte, wie ihre Kraft aus ihr herausgerissen wurde.
Es schmerzte unvorstellbar und war dennoch ein süßes Gefühl von Selbstaufgabe in reiner Macht. Es kostete sie alle Kraft, dem Drang zu widerstehen und sich nicht mitreißen zu lassen. Unter größter Selbstbeherrschung schloss sie die Pforte in sich und sackte erschöpft zu Boden.
Alles schmerzte. Jeder Muskel, jede Ader. Ihre Haut schien in Flammen zu stehen. Sie konnte kaum atmen und fühlte sich, als würde sie ersticken. Der aufgewirbelte Staub brannte in ihrer Lunge, und vor ihren Augen verschwamm die Welt, wurde einfarbig und undeutlich, so als nehme sie alles nur noch aus großer Entfernung wahr.
Es dauerte, bis sich der Staub gelegt hatte, bevor Tareisa den Kampf gegen die drohende Ohnmacht gewonnen hatte. Langsam kehrte ihre Sicht zurück, und das Hämmern ihres Herzschlags in ihren Ohren sank auf ein erträgliches Maß.
Ihr Zauber hatte eine tiefe Furche gezogen, von ihr bis zu einer hohen Düne, die nun seltsam zusammenhanglos mitten auf dem Strand existierte, wo vorher keine gewesen war. Das Meer rauschte, der Wind strich über den Sand, aber ansonsten war es still.
Mit wackligen Beinen erhob sich Tareisa und lief langsam die Furche entlang. Sie versuchte sich auf einen Schutzzauber zu konzentrieren, aber er entglitt ihr immer wieder, und sie fand keine Kraft mehr in sich, um die Pforte der Vigoris zu öffnen. Was vielleicht gut war, denn sie war unsicher, ob sie sie in diesem Zustand wieder würde schließen können.
Erst als sie bis auf wenige Schritt an die neue Düne herangekommen war, konnte sie sehen, was sie bereits geahnt hatte. Der Drache war unter dem Sand begraben. An der Seite sah man noch seine Schuppen durchschimmern, und die grobe Form der Düne verriet, was sich unter der Sanddecke verbarg, aber von der Kreatur selbst war fast nichts mehr zu erkennen.
»Hab ich dich, du Bastard«, murmelte Tareisa und spie aus. Ein roter Tropfen fiel auf den Sand, blutiger Zeuge der Macht, der sie durch ihren Körper Eintritt in die Welt verschafft hatte. Eigentlich wollte sie sich abwenden und den Ort hinter sich lassen, aber da versagten ihre Beine ihr den Dienst, und sie sank ungeschickt erst auf die Knie und fiel dann nach hinten.
Genau in diesem Augenblick erbebte die Düne, dann explodierte sie förmlich. Durch Staub und Sand sah Tareisa die Form des Drachen, die sich aus der Düne löste. Sie wollte die Vigoris rufen, doch bevor ihr erschöpfter Geist auch nur reagieren konnte, raste etwas Großes, Dunkles auf sie zu.
THYRANE
»Drachen?« In Kapitän Bercons’ Stimme klang mehr als nur ein wenig Unglauben mit, was Thyrane ihm nicht verdenken konnte. Er blickte auf den Stein hinab, der zwischen ihnen auf dem Tisch lag. Manoel streckte die Hand nach dem kleinen Artefakt aus und berührte die Oberfläche zögerlich mit einem Finger. Sinao
Weitere Kostenlose Bücher