Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
aber ich werde das nicht tun. Du sagst, es ist noch nicht vorbei. Stimmt das?«
Thyrane hielt kurz inne.
»Ich will dich nicht anlügen. Es steht nicht gut für uns. ›Der Feind hat den Wind und wir nur eine Küste an Lee‹, wie die Seeleute sagen. Ich kann dir nicht sagen, ob mein Plan uns weiterhilft, denn ich weiß selbst nicht, ob wir noch eine Chance haben, unsere Pläne zu verfolgen oder ob man mir einfach die Rückkehr befiehlt, um mich einzusperren, sobald wir erst einmal Kontakt mit meinen Vorgesetzten in
Thaynric haben. Aber im Augenblick ist für mich noch nichts vorbei.«
Er sah die Entschlossenheit in ihrem Blick, aber auch die Einsamkeit.
»Das hier ist nicht mein Zuhause«, sagte die Paranao leise. »Ich kenne diese Menschen kaum, weiß nicht, wer sie sind, wie sie leben und was sie denken. Als wir am Strand waren und die jungen Mädchen und Krieger kamen … Ich … Das war nicht …«
Ihre Stimme wurde leise, verebbte schließlich ganz. Thyrane sah sie voll Mitleid an, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie haben dir das alles genommen. Du hattest nie eine Heimat, und dein Volk ist dir keine.
Unvermittelt brach Sinao in Tränen aus, und ihr Körper wurde von Schluchzen erschüttert. Thyrane stand auf, kniete langsam neben ihr nieder und legte die Arme um ihren schmalen Körper. Ihr Leid schmerzte ihn auf eine beinahe physische Weise, doch er konnte es nicht lindern, sondern nur bei ihr sein.
FRANIGO
Die Sonne berührte wohl bereits den Horizont, als Franigo dem alten Mann aus dem Mietshaus folgte, und der Himmel über Sargona bot ein farbenprächtiges Schauspiel in Rot und Gold, doch der Poet hatte keine Zeit, um die spektakulären Farben zu genießen. Wie der alte Mann gesagt hatte, war am fernen Ende der langen Gasse eine Menschenmenge zu erkennen, die sich bedrohlich zusammenballte. Einige erhobene Waffen waren ebenfalls zu erkennen, und hinter dem Mob erspähte Franigo einen Reiter.
»Duckt Euch, Mesér«, forderte ihn sein Begleiter im Flüsterton auf. »Wenn sie Euch sehen, wird ihre Wut wachsen, und es wird erheblich schwerer werden, dieser armseligen Stadt den Rücken zu kehren.«
Auch Franigos Wut war erheblich gewachsen, seit er den Pöbel entdeckt hatte, der ihm nach dem Leben trachtete, aber selbst durch den roten Schleier vor seinen Augen konnte er wahrnehmen, dass die Rotte einfach aus zu vielen zornigen Bürgern bestand, als dass er es hätte allein mit ihnen aufnehmen können. Und der Alte an meiner Seite wäre mir womöglich eher ein Hindernis als eine Hilfe.
Also folgte er dem Rat des Mannes und duckte sich, so dass er sich innerhalb der Schatten befand, die von den Hauswänden geworfen wurden. In gebückter Haltung bewegten
sich die beiden Männer um die nächste Ecke, die in eine weitere Gasse führte. Der Alte richtete sich auf und spähte vorsichtig nach links und rechts.
»Nichts zu sehen«, wisperte er dann. »Vermutlich wollen sie Euer Haus stürmen, sobald sie sich sicher genug fühlen.«
Franigo schnaubte nur verächtlich. Sollten sie doch die schäbige Behausung dem Erdboden gleichmachen. Er hatte einen Beutel mit Münzen, seine Waffen und sein Oktavheft bei sich; was immer in seinem Mietzimmer verblieben war, konnte der Pöbel somit haben.
Er folgte dem Alten durch einige weitere enge Gassen. Sein seltsamer Begleiter wusste offenkundig genau, wohin er wollte, denn er zögerte an keiner Abzweigung und führte den Dichter mit der größten Selbstverständlichkeit durch schäbige Hinterhöfe und überwucherte Gärten. Schließlich gelangten sie in einen der Außenbezirke Sargonas, der spärlicher besiedelt war als die Innenstadt und in dem es eher schlichte Holzhäuser als prächtige Steinbauten gab.
»Ihr habt einen weiten Weg zu Fuß auf Euch genommen, Mesér«, bemerkte Franigo, dem auffiel, dass der alte Mann an seiner Seite weder außer Atem war noch sonstige Anzeichen von Erschöpfung zeigte.
»Wer sagt, dass ich den Hinweg auch zu Fuß zurückgelegt habe?«, entgegnete der Alte mit einem Lächeln. »Ihr solltet vielleicht damit beginnen, nicht immer den ersten Gedanken auch als den richtigen anzusehen.«
»Also seid Ihr nicht nur ein Freund der Literatur, sondern auch ein Philosoph?«, fragte Franigo skeptisch.
»Oh ja. Das und noch vieles mehr. Aber da sind wir ja auch schon«, erklärte der Alte plötzlich und wies auf eine Kutsche, die am Rande eines Feldes stand. Das dunkle, zweispännige Gefährt wirkte funktional und bescheiden, kein
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