Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Sargona sein konnten.
Denk nach. Wie kann das möglich sein? »Wie lange habe ich denn geschlafen?«, fragte er schließlich. »Habe ich einen ganzen Tag verpasst?«
»Keineswegs.«
»Wie, bei der Einheit, sind wir dann hierhergekommen?«
Der Alte blieb stehen und musterte Franigo. Diesmal fehlte jede Andeutung von Spott in seinem Blick. »Ich würde Euch bitten, diesen Namen nicht so ohne weiteres in den Mund zu nehmen.«
Franigo schwieg, seltsam unberührt trotz der Zurechtweisung. Mit religiösen Empfindsamkeiten hätte ich nicht gerechnet, aber jedem das Seine. Da seine Frage nicht beantwortet worden war, wiederholte er sie, diesmal ohne Bezugnahme auf die Einheit.
»Ihr wisst, wie wir hergekommen sind, Franigo. Mit der Kutsche dort«, erklärte der Alte so geduldig, als sei sein Gegenüber schwer von Begriff. »Aber wir sind noch lange nicht
am Ende unserer Reise angelangt. Deshalb muss ich Euch um etwas mehr Eile bitten.«
Mit diesen Worten schritt der Alte voran, und Franigo folgte ihm durch die Gassen der Stadt, von der er nun wirklich annahm, dass es sich um Boroges handelte. Wenn deine Augen dir sagen, dass etwas wahr ist, auch wenn dein Verstand zweifelt, was bleibt dir dann, als deinen Augen zu trauen? Vermutlich hat mich die Erschöpfung doch mehr als einen Tag lang schlafen lassen. Oder er hat mich betäubt … aber zu welchem Zweck? Und wie? Mittels Magie?
Seine Grübeleien brachten ihn der Lösung des Rätsels nicht näher, bescherten ihm aber neue Sorgen. Vielleicht sollte ich doch mehr über meinen seltsamen Begleiter erfahren, bevor ich auf eine lange Reise mit ihm gehe.
»Wie ist eigentlich Euer Name?«, erkundigte er sich, um den Plan sofort in die Tat umzusetzen.
»Maecan«, rief ihm der Alte über die Schulter zu.
Ungeachtet dessen offensichtlichen Desinteresses an einem Gespräch, beschleunigte Franigo seine Schritte und redete unverdrossen weiter, als er sich wieder auf Augenhöhe mit Maecan befand: »Oh, ein alter und würdevoller Name.«
»Ich bin ja auch ein alter Mann.«
»Nein, Ihr seid in den besten Jahren«, schmeichelte der Poet glatt, doch der Alte kicherte nur. Als er nichts weiter sagte, fragte Franigo: »Wohin gehen wir denn? Zum Hafen vielleicht, um eine Passage zu buchen?«
»Nein, ein Schiff würde uns wenig nutzen. Ich suche einen bestimmten Ort.«
»Ein Gasthaus? Ich bin hungrig«, erinnerte der Poet den Mann, den er im Geist schon seinen Auftraggeber nannte, obwohl es noch an konkreten Aufträgen mangelte.
»Wir können speisen, wenn wir unser Ziel erreicht haben«, beschied ihn der Alte. Bevor Franigo Einwände erheben
konnte, fuhr Maecan fort: »Was nicht sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Ah, hier sind wir schon.«
Neugierig blickte Franigo sich um, sah jedoch nur einfache Häuser. »Hier?«
»Hier.« Maecan klopfte mit dem Gehstock auf die Pflastersteine, als erkläre dies seine Worte. Er lächelte geheimnisvoll, und Franigo spürte, dass es dem Alten diebische Freude bereitete, ihn im Dunkeln tappen zu lassen.
»Wenn Ihr das vielleicht ausführen könntet? Sind wir unterwegs zu Eurer Heimstatt? Oder zu einem Eurer Freunde? Ich bin nicht ausgeschlafen und einigermaßen hungrig, und die Zeit verrinnt …«
Maecan wies auf eine niedrige, halbrunde Öffnung in der Wand eines Hauses, die auf den ersten Blick wie ein Kellerfenster aussah. Erst auf den zweiten Blick erkannte der Poet, dass sie direkt an der Rinne für den Unrat lag. Boroges hat eine Kanalisation? Interessant. Dann ging ihm auf, was der Alte meinte.
»Da rein? In die Abwasserkanäle der Stadt?« Der Unglaube in seinen Worten konnte nicht zu überhören gewesen sein, aber Maecan nickte nur ernst.
»Ich bezweifle, dass die Stadt heutzutage ihre Abwässer durch diese Tunnel leitet. Sie stammen noch aus der Zeit des Imperiums, und es ist anzunehmen, dass sie seit langem nicht mehr ordentlich unterhalten werden.«
»Also befindet sich darin der Schmutz und Unrat von Jahrhunderten? Das klingt nicht besser.«
»Es wird schon so schlimm nicht sein.« Jetzt klang die Stimme des Alten zum ersten Mal unwillig. »Außerdem befinden wir uns direkt über unserem Ziel, müssen also nicht weit gehen.«
Damit schritt Maecan zu der Öffnung und ließ sich ächzend auf die Knie nieder. Schon jetzt hing sein langer Mantel
in den Schmutz der Straße, und Franigo zuckte zusammen, als er daran dachte, dass die Kleidung an seinem Leib die einzige war, die er besaß. Maecan aber achtete nicht auf den
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