Sturmwind der Liebe
Vorstellung war ihr widerwärtig. Mit knirschenden Zähnen stieß sie hervor: »Ja, es ist das beste.« In Wirklichkeit hatte sie nicht die geringste Ahnung, wer Madame Lorraine war.
»Gut«, sagte Alec und beschleunigte wieder den Schritt. »Ihre Aufklärung beginnt also bei Madame Lorraine. Und wenn Sie wünschen, kann ich Sie dort beobachten, wie Sie es, äh, bringen und vielleicht Ihre Technik benoten … Was ist denn los? Ach, verdammt! Sie sind wirklich noch jungfräulich, nicht wahr, Eugene? Sie haben also noch gar keine Technik erlernt.«
Genny wußte, daß sie aufgeben mußte. Sofort, bevor es zu spät war. Bevor sie sich in einem verdammten Bordell bis auf die Knochen blamierte. Dazu kam, daß sie dort möglicherweise trotz ihrer Verkleidung von einem Gast erkannt werden würde. Dann war ihr Ruf, wie immer er sein mochte, vollständig dahin. Sie mußte aufgeben – jetzt, auf der Stelle. Schon öffnete sie den Mund. Aber sein hochmütiger Blick ließ sie schweigen.
Statt dessen sprudelte sie heraus: »Natürlich habe ich eine Technik! Ich bin keine Jungfrau mehr. Daß ich keinen Bart habe, bedeutet noch lange nicht, daß ich keine Erfahrung hätte.«
Immer noch nicht genug, dachte Alec. Mein Gott, war sie stur! Kopfschüttelnd grinste er sie an. »Komisch, ich hätte wirklich gedacht, daß Sie noch nicht mal ein Mädchen geküßt haben. Na ja, vielleicht macht ihr Amerikaner es anders als wir Engländer.«
»Ja, allerdings.« Und dachte dabei: er braucht doch wirklich keine Technik, was immer das sein mag. Wahrscheinlich brauchte er nur zu einer Frau sagen, daß er sie küssen wolle, und schon würde sie sich auf die Zehenspitzen stellen und den Mund spitzen. »Wie macht ihr Engländer es denn?«
Alec nickte zwei entgegenkommenden Männern zu und ging langsamer. »Mein Vater, mein seliger Vater, überraschte mich an meinem vierzehnten Geburtstag mit einem wundervollen Geschenk. Er brachte mich in London zu seiner Geliebten, und sie, mein Lieber, lehrte mich alles über Männer und Frauen, und zeigte mir, was sie zu ihrer beider Lust miteinander treiben können. Ich erinnere mich noch, daß sie Lolly hieß. Eine wunderbare Frau. Sie war jünger, als Sie jetzt sind, mein lieber Junge, aber natürlich war sie entschieden älter als ich damals mit meinen zarten vierzehn Jahren.«
»Wie ging das vor sich?«
»Wollen Sie es wirklich wissen?«
»Selbstverständlich.« Kaum waren die Worte heraus, wurde Genny klar, daß sie sich neue Schrecken eingebrockt hatte. Alec sah sie sonderbar an. Doch sie dachte daran, was sie von ihrer Aufklärung durch ihn zu erwarten hatte.
Wieder fragte sich Alec, wie weit er gehen könne. Warum gab das verdammte Gör nicht einfach auf? Wollte sie es wirklich riskieren, in dem Bordell von jemandem erkannt zu werden? Die meisten Leute in Baltimore kannten doch die exzentrische Miß Paxton. Aber wenn das geschah, konnte das ihren Ruin bedeuten. Verdammt, jetzt wußte er nicht mehr weiter. Er war sich noch vor zehn Minuten so sicher gewesen, daß sie den Rückzieher machen würde. Dann hätte er sie ausschimpfen und sie wieder nach Hause bringen können, wo sie in ihr jungfräuliches Bett geschlüpft wäre. Sollte er ihr von Lolly und seiner Nacht mit ihr erzählen?
Ja, beschloß er. Sie mußte einfach irgendwann nachgeben. »Nun«, sagte er, »zuerst erklärte sie mir meinen Körper. Ich war ein unerfahrener Junge und konnte mich natürlich nicht zurückhalten. Aber sie nahm es mir nicht übel. Ohne mir Vorhaltungen zu machen, ließ sie mich kommen – wenn ich mich richtig entsinne, dreimal. Dann begann sie mit meiner Ausbildung. Wollen Sie weitere Einzelheiten hören, Eugene?«
»Ich glaube, das genügt. Vielen Dank. Sie waren damals vierzehn Jahre alt?«
»Ja, mein Vater hat sich noch bei mir dafür entschuldigt, daß er mich nicht früher mitgenommen hatte. Wissen Sie, er war Diplomat und viel auf Reisen. Er hatte gar nicht gemerkt, daß sein Sohn sexuell schon so weit, äh, entwickelt war. Aber die Sache hat gut funktioniert. Gelegentlich besuche ich Lolly immer noch. Eine wunderbare Frau. Ah, wir sind da. Madame Lorraine.«
Genny blieb stehen und sah ein unscheinbares dreistöckiges Haus aus rotem Backstein mit bescheidenem braunen Verputz vor sich. Unter dem Mansardendach waren noch einige Giebelfenster. Durch die von Rolläden verschlossenen Fenster schimmerte schwacher Lichtschein. Man hörte kein rohes Gelächter und keine laute Musik. Es sah wie ein Pfarrhaus
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