Sturmwind der Liebe
allem schuld, wie? Jetzt bin ich der Böse, der keine Hand gerührt hat, um …«
»Ich habe hier unten gelegen, vielleicht schon tot, und Sie haben oben mit diesem Weib geschlafen!«
»Schreien Sie nicht so laut, sonst hält uns dieses Weib noch für Einbrecher und erschießt uns oder schüttet einen Eimer Abwaschwasser über uns aus!«
Genny biß sich auf die Unterlippe. Wie hatte sie nur so dumm sein können, hierher zu kommen und ihm nachzuspionieren?
»Schon gut. Wie Sie wünschen. Ich bin ein elender Mensch. Außerdem ist mir auch kalt.«
»Wie lange waren Sie bewußtlos?«
»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich lange genug, daß Sie oben Ihren Gelüsten nachgehen konnten.«
Alec hätte ihren höchst beleidigenden falschen Verdacht richtigstellen können. Doch er verzichtete darauf. Soll sie doch glauben, daß ich mit Laura geschlafen habe! Soll sie doch glauben, daß ich es Laura zehnmal gemacht habe, bevor ich heruntergekommen bin, um nach ihr zu sehen!
In Wirklichkeit hatte er in Todesangst um Genny Laura sofort verlassen. Laura war sehr unbefriedigt zurückgeblieben. So unbefriedigt wie er selber. Sie wunderte sich bestimmt, was mit ihrem stürmischen neuen Liebhaber plötzlich los gewesen war. Er hatte ihr nur gesagt, er müsse zu seinem Schiff zurück, weil er etwas unerhört Wichtiges vergessen hätte.
»Es würde mir das größte Vergnügen machen, Sie windelweich zu prügeln. Aber ich halte es für fair, damit so lange zu warten, bis Sie wieder imstande sind, sich zu wehren.«
Genny sagte nichts.
In Lauras Schlafzimmer ging das Licht aus.
»Ich meine das ernst, Genny. Ich habe nicht die Absicht, mich Ihnen gegenüber wie ein Gentleman zu verhalten. Wenn es Ihnen wieder gut geht, werde ich Sie garantiert so lange verdreschen, bis Ihr Hintern so rot ist wie eure Baltimore-Tomaten.«
»Wenn Sie das versuchen, trete ich Sie in Ihre …«
»Genug, Mr. Eugene. So, und jetzt wollen wir machen, daß wir hier wegkommen, bevor uns Laura hört oder ein Passant uns sieht.«
»Wenn Sie mich nur nach Hause bringen würden, wäre ich …«
Er nahm sie auf die Arme. Genny machte sich ganz steif. Doch dann entspannte sie sich fast sofort. Noch nie im Leben hatte ein Mann sie auf die Arme genommen. Es war ein sehr interessantes Erlebnis. Er war stark, sehr stark. Vorsichtig legte sie ihm die Arme um den Hals. Er roch wunderbar. Nach Sandelholz, dachte sie.
»Bringen Sie mich nach Hause, Alec?«
»Nein.«
»Wohin dann?«
»Auf die
Night Dancer.
Sie liegt gleich da drüben vor der O’Donnell-Werft.«
»Warum?«
»Bevor ich Sie Ihrem Vater vor die Türschwelle lege, möchte ich mich vergewissern, ob Sie sich den Fuß oder den Schädel gebrochen haben.«
»Keins von beiden.«
»Psst, Genny.«
Diesmal zeigte sich das Baltimore-Wetter gnädig. Es war dunkel, der Halbmond verbarg sich hinter Wolken, aber es regnete wenigstens nicht. Sie begegneten vielen Matrosen. Manche waren betrunken, manche waren auf eine Schlägerei aus, die übrigen wanderten nur so durch die Stadt.
Genny sah, daß Alec zur O’Donnell-Werft einbog. Hoch über der Pratt Street ragte der Bug einer Schonerbark auf. Er ging über die Gangway und sprach leise mit der Schiffswache. Genny starrte vor sich hin ins Leere.
Aber nicht lange. Denn sie wollte einen Blick auf sein Schiff werfen. Sie hob den Kopf und schaute in die verblüfften Augen eines jungen Mannes, der kaum älter als fünfzehn sein konnte.
»Guten Abend, Pippin«, sagte Alec freundlich zu dem Kabinenjungen. »Wie du siehst, habe ich einen Gast. Sorge dafür, daß wir nicht gestört werden!«
»Aye, aye, Käpt’n.«
Es war schwierig, sie den Niedergang hinunterzutragen, aber Alec schaffte es. »Das hat sich so angehört, als wäre ich irgendein Flittchen, das Sie hergebracht haben.«
Er lachte. »Sie sehen auch nicht im entferntesten wie ein Kittchen aus. Sie sind doch von der Wollmütze bis zu den Stiefeln als Mann verkleidet. Mein Gott, so viel wie heute abend rede ich sonst im ganzen Monat nicht.«
Sie holte tief Luft. Das Schiff roch köstlich. Als er die Kabinentür mit dem Fuß aufstieß, stieg ihr der Duft des Sandelholzes noch stärker in die Nase. Er trat ein und schloß die Tür.
»Schön hier.«
»Ja, danke, Ma’am.« Er legte sie vorsichtig auf seine breite Koje.
Sofort wollte sich Genny aufsetzen. Alec schob sie zurück. »Bleiben Sie ganz ruhig liegen! Ich will einen Blick auf Ihren Knöchel werfen. Das heißt, eigentlich habe ich gar keine Lust
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