Sturmwind der Liebe
Kapitän, daß der richtige Wind erst aufkommen würde, wenn sie aus der Bucht in den Atlantik segelten.
Er mußte einfach den richtigen Augenblick abwarten. Er hatte ja noch eine Menge Zeit. Sie würden gute neun Stunden brauchen, um ans offene Meer zu kommen.
Sie passierten North Point an der Mündung des Patapsco, wo der britische Kommandeur damals zum Angriff auf Baltimore angesetzt hatte, und wandten sich nach Steuerbord in die Chesapeake-Bucht.
Hier herrschte ein scharfer Wind. Alec grinste erfreut.
Um sechs Uhr abends segelten die
Pegasus
und die
Night Dancer
fast Bug an Bug an Kap Henry vorbei in den Atlantik.
Alec blickte zu Genny hinüber, grüßte und machte dann eine scherzhafte Verbeugung.
Genny war so glücklich, daß sie nur mit einem dummen Grinsen antworten konnte.
Dann rief sie laut: »Meine Herren, das Rennen geht los!«
14
Snugger, ihr Erster Steuermann, war klein, stark behaart, hatte einen kräftigen Oberkörper und besaß eine so laute Stimme, daß er sich auch im Lärm eines Sturms leicht Gehör verschaffen konnte.
Snugger rief den Männern alle Befehle zu, die Genny erteilte. Das war auf Gennys eigene Anregung hin geschehen. Sie ging davon aus, daß die Männer dann denken würden, die Befehle kämen wirklich von Snugger. So würde es ihnen leichter fallen zu gehorchen, weil er eben ein Mann war und daher tüchtig sein mußte.
Daniels stand an ihrer Seite und sah zu, wie die Männer zu den Wanten hinaufkletterten.
»Sie gleitet über ruhiges Wasser wie ein Kieselstein.«
»Aye, aye, Käpt’n, stimmt genau. Ihr Pa würde sehr stolz auf Sie beide sein.«
Er hatte sie Kapitän genannt. Eine Woge der Freude überkam sie. Ja, sie wünschte, ihr Vater wäre hier, sähe sie und spräche ihr seine Anerkennung für ihr Unternehmen aus.
Genny übergab das Ruder an Daniels, ihren Zweiten Steuermann, und sagte mit ihrer besten Kapitänsstimme: »Halten Sie sie hart am Wind! Dann sieht es bald so aus, als segelte die elende Bark rückwärts.«
»Liegt traumhaft in der Hand, wirklich.«
Genny schnaufte. Über ihren Köpfen hing ein Viertelmond. Der Nachthimmel war klar. Das Licht der Sterne versilberte die Wellen des Meers. Genny gähnte und reckte sich.
»In der Koje werden Sie es heute gemütlich haben, Käpt’n.«
»Ja, Daniels. Ich übernehme die dritte Wache. Snugger soll mich bei zwei Glasen wecken.«
»Aye, aye, Ma’am.«
Genny holte tief Luft, als sie den Niedergang hinabstieg. Die
Pegasus
war noch zu neu und zu frisch, um schon nach Stauwasser, toten Ratten, nasser Kleidung oder gar nach Männerschweiß und ungewaschenen Männerkörpern zu riechen.
Der Klipper segelte viel leiser als Alecs Schonerbark. Wenn sie durch die Wellen rauschte, knirschte ihr Holzbau nicht unter dem eigenen Gewicht. Wegen ihrer leichten Bauart störte auf ihr kein Ächzen der Takelage die Stille.
Sie ist mein, dachte sie. Die
Pegasus
gehört mir.
Aber das stimmte ja nicht. Sie gehörte Alec. Alles gehörte ihm. Sogar ihr Haus gehörte jetzt Alec. Nur weil er ihr Ehemann war.
Doch sie würde das Rennen gewinnen. Alec bekam einfach nicht mit, daß sie seit ihrem sechsten Lebensjahr gesegelt und mit fünfzehn das Kommando auf einem Klipper übernommen hatte. Sie erinnerte sich an die
Bolter
bis zum letzten Fallbock. Bei der Konstruktion war man der Zeit voraus gewesen. Dennoch war sie nicht mit der
Pegasus
zu vergleichen, einem wahrhaft außergewöhnlichem Schiff. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie Alec auf seiner schweren Schonerbark weit hinter sich lassen würde, obwohl es ihm an Fähigkeiten nicht fehlte.
Was würde er dann wohl tun? Würde er sich wie viele andere Männer benehmen, die sie in Baltimore kannte, und wütend auf sie sein, weil sie ihn besiegt hatte? Würde er ihr wirklich die Werft wieder übertragen?
In der Kajüte zündete sie die Laterne an, schloß und verriegelte die Tür und zog sich die feuchte Kleidung aus. Dann legte sie ordentlich einen zweiten Anzug bereit. In einem Notfall mußte sie in dreißig Sekunden auf Deck sein – wenn das reichte.
Sie löschte das Licht, zog sich ein Flanellnachthemd über den Kopf und legte sich in die Koje. Die
Pegasus
holte stark nach backbord über, aber ihre Bewegungen geschahen so gleichmäßig, daß man sie nach wenigen Minuten gar nicht mehr merkte. Dank ihrer Konstruktion glitt sie traumhaft leicht durch die Wogen.
Und Genny fragte sich: Warum hat niemand sie mir abkaufen wollen? Wieso soll das Schiff denn
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