Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Verabredungen mit anderen Männern, die allesamt von den Meindorffs oder von Tilla arrangiert worden waren, war immer jemand zugegen gewesen. »Gehen wir doch in den Blauen Salon«, schlug sie schließlich vor und ging voraus in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer neben dem Speisesaal. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Danke, leider muss ich in den nächsten Minuten wieder los.« Theodor setzte sich auf einen mit blauem Chintz bezogenen Sessel und legte seine Kopfbedeckung auf die Armlehne. »Wie geht es Ihnen, Fräulein van Campen? Ich war erstaunt zu hören, dass Sie noch immer in Berlin leben«, erkundigte er sich interessiert.
»Wo könnte ich sonst sein?«, rutschte es ihr heraus. Sie ließ sich ebenfalls in einen Sessel fallen und hob entschuldigend eine Hand. »Mir geht es gut, Herr Hauptmann. Meine jüngeren Geschwister wohnen jetzt auch hier, wofür ich den Meindorffs sehr dankbar bin.«
Der Offizier musterte sie, und je länger seine Augen auf ihr ruhten, umso unbehaglicher wurde ihr zumute. Er schien tiefer in sie hineinzublicken, als es ihr lieb war.
»Fräulein van Campen, ich habe einige intensive Unterhaltungen mit Hannes geführt. Sie wissen, dass wir einmal gut befreundet waren. Wir hatten damals keine Geheimnisse voreinander, und ich bin froh, dass sich daran bis heute nichts geändert hat. Demnach bin ich darüber informiert, dass Sie regelmäßig Hannes’ Ehefrau Edith und die Kinder besuchen und einigermaßen offen über Ihr Verhältnis zu den Meindorffs sprechen.«
Nun war es an Demy, ihren unerwarteten Besucher eindringlich anzusehen. Natürlich vertraute sie Edith nicht alle ihre Sorgen und Probleme an. Immerhin war Edith jetzt eine Meindorff, selbst wenn der Rittmeister sie, ihre Kinder und Hannes aus der Familie verbannt hatte. Aber Theodors Worte verrieten Demy, dass er ihre Zurückhaltung Edith gegenüber durchschaute und ihre Lage als wesentlich unangenehmer einschätzte. Unsicher, wohin dieses Gespräch führen sollte, lächelte Demy ihren Gesprächspartner zaghaft an.
»Ist es unverfroren von mir, wenn ich Ihnen sage, dass Hannes und ich uns um Sie sorgen?«
»Das ist vielmehr charmant. Darf ich annehmen, Hannes’ Sorge um mich wuchs in dem Moment, als er von meiner Verlobung mit seinem Pflegebruder erfuhr?«
»Sie haben recht. Aber ist das unter den gegebenen Umständen nicht verständlich?«
»Sehr verständlich«, entgegnete Demy freundlich, obwohl sich in ihrem Inneren ein Sturm zusammenbraute. Die Worte des alten Meindorff in der Nacht zuvor hatten sie stärker beunruhigt, als sie sich eingestehen wollte. Mehr noch als vor sechs Jahren fühlte sie sich, als sitze sie in einer halb selbst gewählten, halb aufgezwungenen Falle. Mit Hannes als Ehemann hätte sie sich arrangieren können. Aber mit Philippe …?
Demy schreckte aus ihren Gedanken auf, als Theodor sich erhob und nach seiner Kopfbedeckung griff. Schnell sprang auch Demy auf die Füße. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, während er ihr eine Visitenkarte entgegenstreckte. »Bitte wenden Sie sich jederzeit an mich, wenn Sie Hilfe benötigen.«
Erstaunt nahm sie das Kärtchen und umschloss es mit ihrer linken Hand. Theodor schien nicht tiefer nachforschen zu wollen, wie verzweifelt sie einen Ausweg aus ihrer Situation suchte und ließ ihr somit nicht nur einen großen Freiraum, sondern auch ihre Würde. Wie schon bei der Hochzeit von Hannes und Edith fühlte sie sich zu diesem feinfühligen Menschen hingezogen. »Ich danke Ihnen!«
Theodor lächelte, verbeugte sich knapp und verließ vor ihr den Salon.
Im Foyer wartete Henny bereits auf ihn. Sie reichte Theodor seinen Militärregenmantel und brachte ihn zur Tür. Ob Maria Henny beauftragt hatte, in der Nähe zu bleiben? Immerhin wussten die beiden Angestellten, die sie mittlerweile als Freundinnen betrachtete, mit dem Namen Theodor Birk nichts anzufangen.
Nachdenklich warf die Niederländerin einen Blick auf die Karte in ihrer Hand, wobei sie erleichtert aufseufzte. Sie hatte soeben von völlig unerwarteter Seite ein großherziges Hilfsangebot erhalten. Zu einer Zwangsheirat mit Philippe würde es nicht kommen! Seit heute hatte eine Weigerung, die Ehe mit einem Mann einzugehen, den sie nicht liebte, ihren Schrecken verloren und die in der Luft hängende Drohung, sie und ihre jüngeren Geschwister auf die Straße zu setzen, zählte nicht mehr. Der Hauptmann befand sich in einer Position, die es ihm erlauben würde, zumindest
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