Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
Vom Netzwerk:
Steinboden aufschlug.
    »Hey, du Ratte, was willst du hier?«, fauchte eine Männerstimme über seinem Gesicht und ein Speichelregen traf ihn. Der Mann stank penetrant nach Zwiebeln und Bier.
    Willi versuchte, sich aus dem unbarmherzigen Griff zu befreien. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit und erschrocken stellte er fest, dass alle ihre Habseligkeiten verschwunden waren.
    »Nichts, gar nichts«, erwiderte er stammelnd vor Schreck.
    Die Frau, die wohl den Quietschlaut ausgestoßen hatte, kicherte und schob sich neben ihn. Zwei nackte Brüste bebten vor seine Augen und ließen Willi das Gesicht verziehen.
    »Wenn er Geld hat, darf er zusehen«, hauchte die Frau.
    »Ich suche meinen Bruder«, keuchte der Junge. Endlich bekam er seinen Fuß frei. Rücklings schob er sich von den beiden fort, zurück zu dem fahlen Lichtschein, der seinen Fluchtweg markierte.
    Er und Peter lebten noch nicht lange genug auf der Straße, um die Situation mit der bei den Straßenkindern üblichen Kaltschnäuzigkeit zu meistern. Es war Willi unendlich peinlich, in was er da hineingeraten war.
    »Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er und verleitete die Frau damit zu einem albernen Kichern.
    Der Mann jedenfalls wollte sich nicht länger aufhalten lassen und ließ sich schwerfällig auf seine Begleiterin sinken.
    Willi trat die Flucht an. Zurück im Spalt, die Freiheit vor Augen, wagte er zu fragen: »War mein Bruder hier? Hat er unsere Sachen abgeholt?«
    Er erhielt keine Antwort.
    ***
    Über den Dächern Berlins ging die Dämmerung in eine feuchtkalte Nacht über. Willi fühlte, wie die Düsternis von seiner Seele Besitz ergriff und ihm den letzten Funken Hoffnung rauben wollte. Was würde dann übrig bleiben? Verzweiflung, gar Hass?
    Mit gesenktem Kopf, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, schlich Willi ziellos durch die Gassen. Eine Tränenspur durchzog sein verschmutztes Gesicht. Bedrückt fragte er sich, welches Schicksal ihm und Peter wohl drohte. Ob er Peter überhaupt wiederfinden würde, und wenn ja, in welcher Verfassung? Sein Bruder litt unsäglich darunter, von jedem Mitglied seiner Familie verlassen worden zu sein. Und nun schien es, als hätten auch sie sich verloren; verloren in einer Welt, die kaum feindlicher sein konnte.
    ***
    »Willi.« Der geflüsterte Ruf ließ ihn herumfahren, doch er konnte niemanden sehen. Machte das quälende Gefühl der Einsamkeit ihn jetzt schon verrückt?
    »Willi«, hörte er erneut jemanden seinen Namen wispern. Er folgte der leisen Stimme, bis er hinter einem nicht mehr genutzten Pferdetrog Peter entdeckte. Trotz des unzureichenden Lichts war sein zugeschwollenes Auge, das Blut, das aus seiner Nase lief und das zerrissene Hemd an seinem mageren Körper nicht zu übersehen.
    Willi hockte sich neben seinen Bruder, der seine Hand umklammerte, als wolle er ihn niemals wieder loslassen. »Tut mir leid, dass ich weggelaufen bin.«
    »Du hattest Angst. Da läuft man eben weg«, brummte Willi und zwang sich, nicht an die versäumte Suppe zu denken. »Wer hat dich so zugerichtet? Kannst du aufstehen?«
    »Ich war in unserem Versteck.«
    »Und der Mann hat dich geschlagen?«
    »Welcher Mann? Nein. Die Jungs hatten sich über unsere Sachen hergemacht. Ich wollte sie wiederholen.«
    »Die anderen Jungs haben auf dich eingedroschen?«
    »Es war nicht so schlimm, aber sie haben alles mitgenommen.« Peter brach trotz seiner 14 Jahre in Schluchzen aus. Willi war erleichtert, dass ihr Vater dies nicht miterlebte. »Ich konnte sie nicht davon abhalten.«
    »Natürlich nicht, was solltest du schon gegen so viele ausrichten? Ich bin nur froh, dass wir uns gefunden haben.«
    »Aber was machen wir jetzt?«
    »Wir suchen weiter nach Lieselotte. Morgen gehen wir zu der Fabrik, in der sie arbeitet. Dort muss sie ja irgendwo sein!«, schlug Willi vor. Er verschwieg seinen Verdacht, dass Lieselotte schon längst nicht mehr in der Meindorff-Brauerei tätig war.
    Peter nickte bei der Aussicht, womöglich bald ihre ältere Schwester zu finden, obwohl auch sie ihnen den Rücken gekehrt hatte. Die Hoffnung, dass Lieselotte sich um sie kümmern würde, nun, da ihre Mutter nicht mehr lebte, wollten sie beide nicht aufgeben.
    »Wir finden sie bestimmt bald«, tröstete Willi und half Peter auf die Beine.
    »Und wo schlafen wir heute Nacht?«
    Grimmig kniff Willi die Augen zusammen. Er wusste auf diese wie auf viele andere Fragen keine Antwort. »Komm mit. Ich finde einen Platz zum Schlafen für uns.

Weitere Kostenlose Bücher