Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Bestimmt …! «
***
Weißer Nebel ergriff von Berlin Besitz und hüllte die Stadt in ein tristes Gewand. Der Geruch des Rauchs aus den Schornsteinen lag schwer in der Luft. Amseln flatterten herum und stritten sich mit den Tauben um die besten Plätze auf den Dächern.
Nachdenklich lehnte Demy sich aus dem Fenster und musterte die Prachtbauten in der Nachbarschaft. Aufgrund des trüben Lichts traten an den Häusern dunkle Schatten und Risse zutage, wo ansonsten Stuckwerk und Säulen den Blick des Betrachters auf sich zogen. Die Gebäude wirkten wuchtig und bedrückend auf die junge Frau. Sie wurde aus ihren düsteren Gedanken gerissen, als vor dem Tor eine Kutsche hielt. Mit in die Hände gestütztem Kinn, die Ellenbogen auf dem Fenstersims, beobachtete Demy das Gefährt und fragte sich, wer wohl zu Besuch kam.
Der Rittmeister hatte das Haus ungewohnt früh verlassen und Joseph war an diesem Morgen an die Westfront abgereist. Auch Tilla war nicht zu Hause. Sie hatte sich von einem motorisierten Taxi abholen lassen, ohne Demy mitzuteilen, wohin sie fuhr.
Der Kutsche entstieg ein breitschultriger Offizier, dessen rote Schärpe über dem Uniformrock Demy verriet, dass es sich um einen wichtigen Mann handeln musste. Allerdings konnte sie noch immer nicht alle Rangabzeichen auf Schulterstücken und Kragen einordnen, zumal sie das ohnehin kaum interessierte. Kinder, wie Hennys Schwester, die in Deutschland zur Schule gegangen waren, wussten damit deutlich mehr anzufangen.
Mit einem Frösteln schloss Demy das Fenster. Während die Türglocke durch das Haus hallte, entdeckte sie im blassen Spiegelbild der Scheibe, dass die Feuchtigkeit ihr Haar schon wieder zu winzigen Locken kringelte. Maria kam herein und meldete Demy, dass sie Besuch habe. Der englische Butler Charles war gleich zu Beginn des Krieges verschwunden, und weder Demy noch eine der anderen Angestellten wussten, ob er freiwillig in die Heimat gereist war oder ob Meindorff ihn vor die Tür gesetzt hatte.
Ungläubig rümpfte Demy die Nase und hakte nach: »Der Offizier möchte zu mir?«
»Er stellte sich als Hauptmann Theodor Birk vor und sagte, er würde gerne Demy van Campen sprechen. Ich denke, das sind wohl Sie!« Maria gluckste leise vor sich hin.
»Theodor Birk?«, murmelte Demy, bereits auf dem Weg in Richtung Treppenhaus. Ein fröhliches Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie sich an den schüchternen, etwas unansehnlichen, aber sehr einfühlsamen Trauzeugen bei Hannes’ heimlicher Hochzeit erinnerte. Schon damals hatte Hannes ihr zugeraunt, dass sein Kadettenfreund es in der kaiserlichen Armee sicher weit bringen würde. Wie lange war das jetzt her? Sechs Jahre? Demy hatte den unscheinbaren jungen Mann sehr sympathisch gefunden, ihn aber seit jenem Tag nicht wiedergetroffen. Gespannt darauf, was aus ihm geworden war, lief sie mit gerafftem Rock in großen Sprüngen die Stufen hinunter und platzte polternd ins Foyer.
Ihr Besucher wartete bei der Sitzgruppe nahe beim Treppenhaus. Als sie durch die Tür stürmte, sprang er auf und drehte sich zu ihr um. Seine auffälligen dunklen Augen musterten sie ungeniert, ehe sich ein erfreutes Lächeln auf sein Gesicht mit dem inzwischen markanten Kinn legte. Von den Pickeln war nichts mehr zu sehen und obwohl er groß und breit war, schien er kein Gramm Fett zu viel mit sich herumzutragen. Demy kam nicht umhin festzustellen, dass Theodor ausgesprochen gut aussah! Sie verlangsamte ihren Schritt und zwang sich, halbwegs gesittet auf ihn zuzugehen, so wie ihre Gouvernante es ihr vor Jahren beigebracht hatte.
»Fräulein van Campen? Ich hätte Sie nicht wiedererkannt! Sie sind eine Schönheit geworden!«
»Erwachsen, meinen Sie wohl!«, lachte Demy und streckte dem Mann ihre Rechte entgegen.
»Wie mir scheint, haben Sie sich Ihren Sinn für Humor und Ihre Diskutierfreudigkeit bewahrt.«
»Letzteres sehr zum Leidwesen mancher Zeitgenossen.«
Theodor lachte amüsiert auf und drückte ihre Hand. »Ich soll Sie herzlich von Hannes grüßen. Er gab mir einen Brief an Sie mit.«
»Sie haben Hannes getroffen? Geht es ihm gut?«
»Es geht ihm gut. Leider musste sein Zug in letzter Zeit schwere Verluste hinnehmen. Ich fürchte, das macht ihm zu schaffen.«
Demy rieb sich ihre Nase. Hannes war auf keinen Fall abgebrüht genug, um den Tod und das Leiden von Menschen mit ansehen zu können, ohne dass dies Spuren bei ihm hinterließ. Etwas verunsichert sah sie sich um. Theodor und sie waren allein im Foyer. Bei
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