Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Kutscher, als der er sich vielleicht bewusst gern gab.
In diesem Moment trat Robert in einem vornehmen dunklen Kaschmiranzug aus der Tür, vor der die Kutsche parkte. Ihr Fahrer verbeugte sich, bevor er zurück auf den Kutschbock kletterte, jedoch nicht ohne dabei einen prüfenden Blick die Straße entlangzuwerfen.
»Anki, du siehst hinreißend aus.« Robert ergriff sie an beiden Händen, zog sie unter den Toreingang und drückte sie an sich.
»Ich liebe Torbögen!«, murmelte er in ihr Haar, in Erinnerung an ihre erste Umarmung bei den Chabenskis.
»Und ich dachte, du liebst mich «, foppte Anki ihn, obwohl ihr mulmig zumute war. Immerhin würde sie heute Roberts Eltern vorgestellt werden. Das Ehepaar konnte jederzeit in die Tür treten, um ihren Gast willkommen zu heißen.
Robert entließ sie aus seinen Armen und führte sie in die für einen erfolgreichen Architekten ungewöhnlich kleine, jedoch gemütliche Wohnung im Erdgeschoss des Gebäudes. Mathilde, Roberts Mutter, war eine rundliche, adrette Frau, die Anki zur Begrüßung umarmte und ihr dabei zuraunte, wie sehr ihr Ältester von ihr schwärmte. Wolf Busch, deutlich älter als Mathilde und annähernd so groß wie Ankis eigener Vater, drückte ihr kräftig die Hand. Die tief eingegrabenen Lachfältchen um seine Augen gefielen ihr gut und sie fragte sich, ob Robert diese später wohl auch haben würde. In diesem Moment nahm sie sich vor, alles dafür zu tun, dass es so sein würde.
Zuletzt schüttelte Anki Oskar die Hand. Sie hatte Roberts jüngeren Bruder seit ihrem ersten Treffen 1908 im Sommergarten nicht mehr gesehen und staunte, wie sehr er in die Höhe geschossen war. Er überragte selbst seinen Vater, war aber weitaus schlanker gebaut. Wie damals trug er eine etwas verkniffene Miene zur Schau.
»Kommen Sie, das Essen ist fertig. Ich habe heute versucht, eigens für Sie einen Rijstevlaai 24 mit Kompott zu backen und hoffe, er schmeckt Ihnen.«
Ankis Augen begannen zu strahlen. Aus einem Impuls heraus drückte sie der Frau die Hand. Diese schenkte ihr ein liebevolles Lächeln und bat sie, zwischen Robert und Oskar Platz zu nehmen.
Der Arzt rückte ihr den Stuhl zurecht und die drei Männer setzten sich erst, nachdem sie und auch Mathilde saßen. Roberts Mutter schnitt den Reiskuchen in der Auflaufform an und legte Anki ein großes Stück auf den geblümten Porzellanteller. Ein verführerischer Duft nach heißem Apfel- und Pflaumenkompott breitete sich aus.
Der Hausvorstand sprach ein Tischgebet, während eine Uhr im Nebenzimmer achtmal schlug. Prüfend warf Anki einen Blick aus dem Fenster. Die Dämmerung streckte ihre Finger nach der Stadt aus. Es ließ sich nicht länger verleugnen, dass ein weiterer eisiger und dunkler Winter von Petrograd Besitz zu ergreifen begann. Der drohenden Kälte und den langen Winternächten zum Trotz fühlte Anki sich im Augenblick rundum wohl. Ihr war, als habe sie in diesen paar Minuten, die sie sich im Kreise von Roberts Familie befand, bereits ein neues Zuhause gefunden. Deshalb fügte sie dem Gebet des Familienvorstands ein kleines Dankeschön für diese Familie bei.
Noch immer aß niemand, und Anki warf Mathilde einen fragenden Blick zu. Roberts Mutter sagte auffordernd: »Bitte, probieren Sie. Ich bin so gespannt, ob mir das holländische Gericht gelungen ist.«
»Wenn es nur halb so gut schmeckt, wie es duftet, Frau Busch, wird es himmlisch sein. Es ist über sieben Jahre her, dass ich das letzte Mal Rijstevlaai genießen durfte.«
»Ich hoffe, ich habe in Ihnen jetzt kein Heimweh wachgerufen! Das würde mir schrecklich leidtun!«
»Keine Sorge, das haben Sie nicht. Nur schöne Erinnerungen, die ich schon verloren glaubte. Ich war ja fast noch ein Kind, als ich Koudekerke verließ.«
»Wie es dazu kam, müssen Sie uns bei Gelegenheit erzählen«, mischte Wolf sich in das Gespräch ein und hob auffordernd seinen Löffel. »Aber erst später. Satt lässt sich besser alten Geschichten lauschen!«
Anki lächelte und hoffte, nichts von dem Drama erzählen zu müssen, das zu ihrem Weggang aus den Niederlanden geführt hatte, und probierte den ersten Löffel des noch dampfenden Gerichts. »Herrlich! Es ist perfekt!«, lobte sie.
»Ich bin froh, dass nur Erinnerungen, kein schmerzliches Heimweh in Ihnen aufgekeimt ist«, knüpfte Mathilde nochmals an das vorige Gesprächsthema an und probierte ebenfalls von dem Reiskuchen.
»Mein Zuhause in den Niederlanden gibt es leider nicht mehr. Aber ich denke ohnehin,
Weitere Kostenlose Bücher